Mehr Kriege, mehr Flüchtlinge – zurück zum Schlagbaum in Europa?

Fakten-Box | 17. Oktober 2024

• Deutschland macht die Grenzen zu

  

  Deutschland macht die Grenzen zu – und ist damit in der EU nicht alleine: Kurz nach dem islamistisch-motivierten Anschlag in Solingen Ende August kündigte die Bundesregierung ein umfangreiches Maßnahmenpaket an. Am Freitag, den 18.10.2024, stimmt der Bundestag über dieses Sicherheitspaket ab. Zu den Maßnahmen, die im Sicherheitspaket festgehalten werden, zählt unter anderem eine Ausweitung von Messerverbotszonen.
  
  Das Paket sieht aber auch eine Änderung im Asylrecht vor: Geflüchtete, die ohne einen dringenden Grund zwischendurch in ihre Heimat zurückkehrten, etwa für einen Urlaub, sollen ihren Schutzstatus verlieren. Asylbewerber, für die ein anderer EU-Staat zuständig ist, sollen in Deutschland keine Sozialleistungen mehr erhalten.
  
  Im Zuge des Sicherheitspaktes hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vorübergehende Kontrollen an allen deutschen Landesgrenzen angeordnet. Die zusätzlichen Kontrollen sollen zunächst sechs Monate andauern. Bereits Mitte Oktober 2023 hatte Faser stationäre Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz angeordnet.
  
  Derzeit führen neben Deutschland einige Länder temporär Grenzkontrollen im Schengenraum durch: Italien, Schweden, Norwegen und Frankreich kontrollieren alle Landesgrenzen. Dänemark kontrolliert die Grenze zu Deutschland. Österreich überwacht die Grenzen zur Slowakei, der Tschechischen Republik und Ungarn. Slowenien kontrolliert die Grenzen nach Ungarn und Kroatien.
  
  Grenzkontrollen innerhalb des Schengen-Raums sind eigentlich nicht vorgesehen. Sollten sie ausnahmsweise doch stattfinden, muss dies der EU-Kommission gemeldet werden.
  
  (Quellen: dpa, AFP)

  Bildquelle: ZDF

• Polen: Asylrecht vorübergehend aussetzen

  

  Polen möchte das Recht auf Asyl vorübergehend aussetzen: Polens Ministerpräsident Donald Tusk hat ein Gesetz angekündigt, das vorsieht, keine Asylantragsteller mehr über die Grenze von Belarus nach Polen zu lassen. Das Recht auf Asyl ist aber in der polnischen Verfassung verankert und Bestandteil europäischer und internationaler Verträge.
  
  „Es ist unser Recht und unsere Pflicht, die polnischen und europäischen Grenzen zu schützen", betonte Tusk am Montag. Seine Regierung werde diese Aufgabe erfüllen und mit niemandem über die Grenzsicherung verhandeln.
  
  Tusk hat dabei auf Finnland verwiesen, das seine Grenze zu Russland für Migranten geschlossen habe. Das Parlament in Helsinki hatte im Juli ein Gesetz angenommen, wonach Sicherheitskräfte an der Grenze zu Russland alle Asylsuchenden zurückweisen sollen.
  
  Sein Vorhaben begründete Tusk damit, dass Russlands Präsident Wladimir Putin und sein Verbündeter, der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko, gezielt Migranten aus Krisenregionen an die EU-Außengrenze bringen, um Druck auf den Westen auszuüben. 
  
  Trotz des Baus eines mehr als fünf Meter hohen Zauns und eines elektronischen Überwachungssystems versuchen täglich Migranten die Grenze zu überqueren. Seit Beginn des Jahres hat der Grenzschutz knapp 28.000 solcher Versuche registriert.
  
  Ob tatsächlich aber eine Mehrheit für die Aussetzung des Rechts auf Asyl zustandekommt, ist noch offen. Der linke Vizeregierungschef Krzysztof Gawkowski gab bekannt, dass die Minister seiner Partei dagegen stimmen wollen.
  
  Die Ankündigung Tusks kurz vor dem EU-Gipfel hatte in Brüssel für Irritation gesorgt, aber klar verurteilt wurde der Vorstoß nicht. Tusk war einst selbst EU-Ratspräsident. ZDF heute berichtet, eine Sprecherin der EU-Kommission betone, es sei erforderlich, dass die Union ihre Außengrenze schütze. Gleichzeitig müssten sich Mitgliedsstaaten auch bei Asylfragen an EU-Verpflichtungen halten.
  
  Das Aussetzen des Rechts aufs Asyl ist nicht ohne weiteres möglich. Auch die Niederlande und Ungarn haben solche Ausnahmen bei der EU-Kommission beantragt. Dem müssten am Ende alle Mitgliedsländer zustimmen. Viele Staaten fürchten aber den Zusammenbruch des gemeinsamen Asylsystems, wenn einzelne Länder ausscheren.
  
  (Quellen: dpa, KNA, AFP)

  Bildquelle: epa/Pawel Supernak

• Italien: Asylverfahren in Albanien

  

  Italien hat offiziell zwei Zentren in Albanien eröffnet, in denen die Anträge von Tausenden Asylsuchenden bearbeitet werden sollen. Es ist das erste Mal, dass die Bearbeitung von Asylanträgen von einem EU-Mitglied in ein Land außerhalb der EU verlagert wird. Am Mittwoch, den 16.10.2024, wurden die ersten 16 Migranten dorthin gebracht.
  
  Grundlage dafür ist ein umstrittenes Migrationsabkommen, das die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni im vergangenen November mit Albanien abgeschlossen hatte. Das Abkommen sieht vor, dass die Asylanträge von monatlich bis zu 3000 Migranten in Auffanglagern in Albanien bearbeitet werden. Die Migranten werden noch bevor sie italienischen Boden betreten auf dem Meer aufgegriffen und dann nach Albanien geschickt. Meloni hatte betont, dass die Flüchtlingslager der Abschreckung dienen sollen.
  
  Das betrifft allerdings nur erwachsene Männer. Frauen, Kinder, ältere Menschen und Kranke sowie Folteropfer werden wie bisher direkt nach Italien gebracht. Familien werden nicht getrennt. Die Einrichtungen unterliegen italienischer Gerichtsbarkeit. Für die Sicherheit sollen albanische Wachleute sorgen. Bei Annahme des Asylantrags werden die Schutzsuchenden laut Abkommen nach Italien gebracht. Bei Ablehnung sollen die Migranten in ihr Heimatland zurückgeschickt werden.
  
  Die italienische Oppositionsführerin Elly Schlein von der sozialdemokratischen Partito Democratico kritisierte die hohen Kosten, die ausschließlich von Italien getragen werden. Das Abkommen ist auf fünf Jahre angelegt, seine Kosten werden pro Jahr auf 160 Millionen Euro geschätzt. Der Bau des ersten Aufnahmezentrums und der Registrierungsstelle am Hafen kostete 65 Millionen Euro, doppelt so viel wie geplant.
  
  Auch Menschenrechtsorganisationen kritisieren das Abkommen scharf. So seien etwa „große Fragen dazu offen, wie Italien sicherstellen wird, dass die Rechte der Menschen außerhalb der EU-Gerichtsbarkeit gewahrt bleiben“, erklärte die Italien-Chefin des International Rescue Committee (IRC), Susanna Zanfrini. Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl warnen vor einem Umgehen der EU-Standards und Menschenrechtsverstößen in solchen exterritorialen Abschiebezentren.
  
  Die ultrarechte Politikerin Meloni sieht in dem Abkommen ein mögliches Vorbild und schlägt vor, dass auch andere EU-Staaten solche Drittstaatenlösungen anstreben. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bezeichnete es als „interessantes Modell“. Die Union drängt darauf, die rechtlichen und praktischen Voraussetzungen für die Nutzung solcher Modelle zu schaffen. Abkommen dieser Art sollen auch bei dem Treffen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel am Donnerstag ein Thema sein.
  
  (Quellen: AFP, epd, AP, dpa)

  Melonis Deal unter der Lupe Bildquelle: Reuters

• EU-Gipfel – Migration wird ein Hauptthema 

  

  Am Donnerstag und Freitag findet ein Treffen des Europäischen Rats statt, bei dem die 27 Staats- und Regierungschefs zusammenkommen. Migration ist eines der Hauptthemen des EU-Gipfels. Diskussionsgrundlage ist ein Zehn-Punkte-Plan von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU), den sie in einem Brief an die Staats- und Regierungschefs skizziert hat.
  
  Nach Angaben des EU-Statistikamts Eurostat wurden im vergangenen Jahr mehr als 480.000 Drittstaatenangehörige zum Verlassen der EU aufgefordert. Aber nur in jedem fünften Fall kam es zur Rückkehr.
  
  Daher setzt von der Leyen unter anderem auf wirksamere Abschiebungen. Damit diese umgesetzt werden können, möchte von der Leyen Visa-Erleichterungen für Drittländer als „Hebel“ einsetzen, damit diese ihre Staatsangehörigen zurücknehmen Die CDU-Politikerin strebt außerdem an, die sogenannte „Rückführungsrichtlinie“ von 2008 zu überarbeiten. So soll erreicht werden, dass die Mitgliedsländer ihre Abschiebebeschlüsse gegenseitig anerkennen. Bisher reisen abgelehnte Asylbewerber häufig in ein anderes EU-Land und stellen dort einen neuen Antrag. Das fordern 17 Schengen-Länder, unter anderem auch Deutschland.
  
  Weniger Zuspruch erhält Deutschland bei vielen europäischen Partnern dagegen für die Mitte September eingeführten Kontrollen an allen deutschen Landgrenzen. Polen und Griechenland wollen Druck auf Bundeskanzler Olaf Scholz machen, diese schnellstmöglich zu beenden.
  
  Scholz wirbt dagegen nach Regierungsangaben für eine „zügige“ Umsetzung der im Mai auf EU-Ebene beschlossenen Reform des Gemeinsamen europäischen Asylsystems (GEAS). Diese ermöglicht erstmals Asylverfahren und Abschiebungen direkt an den Außengrenzen.
  
  Zudem will der Kanzler erneut auf die Anwendung der Dublin-Regeln pochen, nach denen das EU-Ersteinreiseland Asylbewerber etwa von Deutschland zurücknehmen muss. Italien und Griechenland verweigern eine solche Rücknahme weitgehend.
  
  Auch Drittstaatenlösungen, welche die Durchführung von Asylverfahren außerhalb der EU vorsehen, sollen thematisiert werden – dafür setzen sich unteranderem Ungarn und Italien ein. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat ein Flüchtlingslager in Albanien errichten lassen und am Mittwoch die ersten Migranten dorthin überstellt (siehe: Italien-Faktenbox).
  
  (Quelle: adp, dpa, AFP)

  Bildquelle: Reuters

• Streit um das Sicherheitspaket

  

  Kurz vor der geplanten Abstimmung über das Sicherheitspaket am Freitag im Bundestag sorgt das Paket in der Ampel-Regierung für mächtig Ärger bei SPD und Grünen. Der Chef der SPD-Jugendorganisation, Philipp Türmer, rief die Kritiker der Maßnahmen in der Bundestagsfraktion auf, sich dem Druck von Bundeskanzler Olaf Scholz bei dem Thema zu widersetzen. „Ich hoffe, dass sich niemand, der gegen das Paket stimmen will, davon einschüchtern lässt, und kann nur allen sagen: Lasst Euch nicht unterkriege“, sagte er dem Magazin „Stern“.
  
  Scholz hatte am Dienstag in der Fraktionssitzung die Kritiker des Pakets mit deutlichen Worten zur Zustimmung ermahnt. Nach Angaben von Teilnehmern sagte er, dass er notfalls „von seinen Möglichkeiten Gebrauch machen“ wird, wenn die eigene Mehrheit der Koalition in Gefahr gerät.
  
  Führende SPD-Politiker widersprachen aber grundsätzlich der Wahrnehmung, Scholz habe damit die Vertrauensfrage gemeint: „Er hat nicht mit der Vertrauensfrage gedroht“, sagte etwa der designierte SPD-Generalsekretär Matthias Miersch in der ARD. Auch im Umfeld des Kanzlers hieß es, eine solche Interpretation sei „etwas übertrieben“. Scholz habe eher an die Fraktionsregel erinnern wollen, dass man intern diskutiere und dann geschlossen abstimme für das, was die Mehrheit wolle.
  
  Auch die Koalitionspartner FDP und die Grünen kritisieren das Sicherheitspaket: Bei den Grünen denken offenbar mehrere Abgeordnete darüber nach, mit Nein zu stimmen. „Ich gehe schwer davon aus, dass die Mehrheit der Grünen-Fraktion steht“, sagte Lamya Kaddor, innenpolitische Sprecherin der Grünen. 
  
  Von Seiten der Union gab es ebenso Kritik am Sicherheitspakt: Für sie war das Sicherheitspaket von Anfang an zu klein geraten. Es sei nur noch „ein kleines Paketchen“, sagte der Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion. „Dieses Paket ist nahezu wirkungslos, deswegen werden wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion dieses Sicherheitspaket ablehnen“, so Throm.
  
  (Quelle: dpa)

  Bildquelle: dpa/ Kay Nietfeld