Abgestraft und angezählt – kann die Ampel noch regieren?

Fakten-Box | 26. September 2024

• Was folgt aus der Wahl in Brandenburg?

  

  Brandenburg hat gewählt und mit dem Ergebnis nicht nur im eigenen Bundesland, sondern auch in der Berliner Bundespolitik für Aufruhr gesorgt: Kanzler Olaf Scholz will nach dem SPD-Erfolg bei der Wahl in Brandenburg auch künftig «kämpfen» und «handeln». Finanzminister Christian Lindner hat nach dem wiederholten Misserfolg seiner FDP einen "Herbst der Entscheidungen" ausgerufen.
  
  Der Bundesvorstand der Grünen hat nach den jüngsten Wahlschlappen ihren Rückzug angekündigt. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte dazu: "Auch wir in der Regierung müssen uns fragen, wie wir besser werden können." Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck will sich nach eigenen Worten der Verantwortung stellen. Doch was genau all das bedeutet, ist in großen Teilen noch offen.
  
  Klar ist aber: Die SPD hat die Landtagswahl am Sonntag mit 30,9 Prozent knapp vor der AfD mit 29,2 Prozent gewonnen. Das BSW kam aus dem Stand auf 13,5 Prozent. Die CDU sank auf 12,1 Prozent ab. SPD und BSW haben zusammen 46 von 88 Sitzen im Landtag, die Mehrheit liegt bei 45. Bislang regieren seit 2019 SPD, CDU und Grüne miteinander. Die Grünen hatten den Wiedereinzug in den Landtag verpasst, SPD und CDU haben zu zweit keine Mehrheit im Parlament.
  
  Wie genau es nun in Brandenburg weiter geht, ist offen. Vor der Wahl hatte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) angekündigt, dass er nur dann weiter Regierungsverantwortung tragen wolle, wenn die SPD stärkste Kraft werde - das hat er nun geschafft. Eine Fortsetzung der Koalition aus SPD, CDU und Grünen, die seit 2019 regiert hatte, ist aber nicht möglich. Denkbar wären zum Beispiel eine Zweierkoalition aus SPD und BSW oder ein Dreierbündnis aus SPD, CDU und BSW.
  
  Quellen: dpa

  Bildquelle: AP

• Rücktritt bei den Grünen

  

  Die Grünen ziehen Konsequenzen aus einer Reihe von schlechten Wahlergebnissen: Der Bundesvorstand der Partei tritt geschlossen zurück. Das kündigten Ricarda Lang und Omid Nouripour am Mittwoch (25.09.2024) an – nur drei Tage nach den Landtagswahlen in Brandenburg, wo die Grünen nur gut vier Prozent der Stimmen holten und damit auf dem Landtag flog.
  
  Nach den Verlusten bei den Europawahlen und den Landtagswahlen in Sachsen (5,1%) und Thüringen (3,2%) führt Nouripour das schlechte Abschneiden der Grünen bei den Landtagwahlen in Brandenburg an. Das Wahlergebnis sei „Zeugnis der tiefsten Krise unserer Partei seit einer Dekade“, sagte er. Es sei notwendig und möglich, diese Krise zu überwinden. Ko-Chefin Lang sah einen Schritt „für die strategische Neuaufstellung“ der Partei.
  
  Die Parteichefs begründen den „Neustart“ dabei auch mit der Bundestagswahl im kommenden Jahr. Diese sei „nicht einfach irgendeine Wahl“, sagte Lang – sondern eine Entscheidung darüber, „wie sich Deutschland in Zukunft entwickelt“. Es gehe darum, ob „wir ein Land sind, in dem wir bei Klimaneutralität Kurs halten und sozialen Zusammenhalt schützen“ – oder ab sich diejenigen durchsetzen, „die bei all dem nur Rückschritt wollen“.
  
  Neben Lang und Nouripour tritt der gesamte Bundesvorstand zurück. Dazu gehören zudem die stellvertretende Parteivorsitzenden Pegah Edalatian und Heiko Knopf, Geschäftsführerin Emily Büning und Bundesschatzmeister Frederic Carpenter. Alle hatten ihre Ämter Anfang 2022 übernommen. Lang und Nouripour übernahmen den Parteivorsitz von Annalena Baerbock und Robert Habeck, die in die Bundesregierung wechselten.
  
  Bis zum nächsten Parteitag der Grünen, der vom 15. bis 17. November in Wiesbaden stattfindet, führen Lang und Nouripour die Partei weiter. Auf dem Parteitag wird dann ein neuer Vorstand gewählt. Für eine mögliche Nachfolge kursierten schon kurz nach dem Rücktritt erste Namen. Darunter Franziska Brantner, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium von Habeck und der Bundestagsabgeordnete Felix Banaszak, der zuletzt Vorsitzender der Grünen in Nordrhein-Westfahlen war. Auch Tarek Al-Wazir, ehemaliger Wirtschaftsminister von Hessen und Andreas Audretsch, Vizechef der Bundestagsfraktion, wurden genannt.
  
  Wirtschaftsminister Robert Habeck dankte dem Führungsduo: „Dieser Schritt zeugt von großer Stärke und Weitsicht“, sagte er. Lang und Nouripour machten den Weg frei für einen „kraftvollen Neuanfang“. Habeck sagte weiter: „Hinter uns liegen harte Monate, die Grünen standen voll im Gegenwind.“ Die Niederlagen bei den letzten Wahlen seien unstrittig vom Bundestrend beeinflusst.
  
  Quelle: AFP und dpa

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• Update: Ampel-Sicherheitspaket

  

  Die Kurzfassung lautet: Es ist kompliziert. Denn die Ampel-Koalition wird das Sicherheitspaket nicht diese Woche durch den Bundestag bringen. Die Anhörungen am Montag hätten ergeben, dass es noch etliche Fragen zu klären gebe, hieß es in Koalitionskreisen. Die Bundesregierung hatte ursprünglich den Wunsch, dass die zweite und dritte Lesung am Donnerstag stattfinden könnte, damit der Bundesrat dann am Freitag zustimmt.
  
  Die von SPD, Grünen und FDP vorgelegten Gesetzentwürfe umfassen unter anderem eine Verschärfung des Waffenrechts beim Mitführen von Messern, die Streichung von Leistungen für Menschen, für deren Asylverfahren ein anderer Staat zuständig ist, sowie die Befugnis zum biometrischen Abgleich von öffentlich zugänglichen Daten aus dem Internet. Sie waren als Reaktion auf den Messerangriff von Solingen konzipiert worden, bei dem Ende August ein mutmaßlicher Islamist als Mitglied der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) drei Menschen mit einem Messer getötet hatte.
  
  In erster Lesung hatte der Bundestag Anfang September darüber beraten - in der so genannten Haushaltswoche, die eigentlich der Beratung des Bundesetats 2025 gewidmet war. Merz sagte am Dienstag, seine Fraktion habe dieser Debatte in der Haushaltswoche "entgegen der Gepflogenheiten" nur deshalb zugestimmt, weil sie eine rasche endgültige Verabschiedung des Sicherheits- und Asylpakets noch im September ermöglichen wollte. Dies sei nun nicht mehr möglich.
  
  Währenddessen formiert sich in der SPD Widerstand gegen den von der Ampel eingeschlagenen Weg einer schärferen Asylpolitik. In einem offenen Brief fordern Hunderte Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten die SPD-Vertreter in der Bundesregierung und im Bundestag auf, das Asylrecht zu verteidigen und Menschenrechte zu wahren.
  
  Quellen: AFP, dpa, Reuters

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• Migrationspaket Nordrhein-Westfahlen

  

  Mitte September – knapp drei Wochen nach dem mutmaßlich islamistisch motivierten Messeranschlag auf einem Volksfest in Solingen – beschließt die Landesregierung von Nordrhein-Westfahlen umfassende Maßnahmen für die innere Sicherheit. Es sei das umfangreichste Sicherheits- und Migrationspaket „in der Geschichte unseres Landes“, sagte Ministerpräsident Henrick Wüst (CDU). Das vom Landeskabinett beschlossene Reformpaket enthält unter anderem neue Befugnisse für Sicherheitsbehörden, eine Stärkung des Verfassungsschutzes und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI).
  
  „Wir haben verstanden, wir sind fest entschlossen, wir werden unserer Verantwortung gerecht“, sagt Wüst bei der Vorstellung des Maßnahmenpakets. „Wir lassen den Worten Taten folgen.“ Konkret zielt das Reformpaket auf die Bereiche Sicherheit, Migration und Prävention. Wüst kündigte zudem an, das Maßnahmenpaket sei „die erste“, aber „nicht die letzte Antwort“.
  
  Um Islamisten im Internet entgegenzuwirken, sollen die Befugnisse der Sicherheitsbehörden weiter ausgeweitet werden. Demnach sollen Islamistische Influencer stärker in den Blick genommen werden. Deshalb werde der Verfassungsschutz mehr Befugnisse erhalten. Im Zusammenhang mit Überwachungsmaßnahmen setzt die Landesregierung auch auf den Einsatz von KI. Diese soll genutzt werden, „um genauer zu sehen, was sich im digitalen Raum im Bereich islamistischer Radikalisierung tut“, so Wüst.
  
  Auch im Bereich der Asylpolitik kündigte der Ministerpräsident weitere Maßnahmen an. Unter anderem sollen drei zusätzliche Asylkammern bei den Verwaltungsgerichten eingerichtet werden und die zentralen Ausländerbehörden gestärkt werden. Die Behörden sollen demnach eine bessere Ausstattung und zusätzliches Personal erhalten. Die Landesregierung will zudem die Präventionsarbeit stärken. So soll die Aufklärung über Islamismus im öffentlichen Raum verstärkt werden. Auch in Flüchtlingsunterkünften, in Schulen und im Internet soll die Präventionsarbeit ausgebaut werden. „Am nachhaltigsten bekämpfen wir Islamismus, wenn man verhindert, dass er neue Anhänger gewinnt“, sagte Wüst. „Wir müssen bereit sein, den Kampf um die Herzen und Köpfe unserer Kinder mit aller Kraft zu führen.
  
  Quelle: AFP

  Bildquelle: phoenix

• Bleibt Scholz SPD-Kanzlerkandidat?

  

  Ein Jahr vor der Bundestagswahl haben die Ergebnisse der Landtagswahl in Brandenburg die Debatte über die Zukunft der Ampel-Koalition weiter angefacht. Während FDP-Chef Christian Lindner Druck auf die Koalitionspartner machte und auf rasche Entscheidungen in zentralen Fragen drängte, spekulierte Vize-Parteichef Wolfgang Kubicki über ein Koalitions-Aus vor Weihnachten. Omid Nouripour offenbarte gedämpfte Erwartungen an die Ampel: „Der große Feng-Shui-Moment wird nicht mehr kommen". Aber Neuwahlen wolle man vermeiden.
  
  Der Kanzler Olaf Scholz (SPD) selbst äußerte sich Tausende Kilometer entfernt bei seinem Besuch in New York zu den Mutmaßungen über ein Ampel-Aus. Die Ampel-Regierung habe noch große Aufgaben vor sich. Aus dem Willy-Brandt-Haus in Berlin rief der SPD-Chef Lars Klingbeil zur Koalitionsdisziplin auf. "Wir sind gewählt und wir haben einen Job zu erledigen in diesem Land".
  
  Mit Blick auf den Bundestagswahl 2025 betonte Klingbeil, die SPD könne Stimmungen drehen und gewinnen - wenn sie Arbeitsplätze, eine starke Industrie und Familien in den Mittelpunkt stelle und den Kampf mit der AfD aufnehme. Aber es werde kein Selbstläufer. Dafür brauche es von seiner Partei „Klare Haltung, Kampfgeist, Geschlossenheit und Mut“.
  
  Klingbeil wies zugleich Zweifel darüber zurück, ob Kanzler Scholz dafür der richtige Kandidat für die Bundestagswahl 2025 sei. Die SPD-Führung habe sich klar für Scholz ausgesprochen, sagte Klingbeil. "Es gibt an keiner Stelle eine Diskussion darüber“. Auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) betonte ebenfalls: „Der Bundeskanzler ist natürlich der gesetzte Kanzlerkandidat der SPD.“ Dass er im Wahlkampf nicht mit dem Kanzler auftreten habe wollen, sei der Entscheidung geschuldet, dass man Landesthemen in den Vordergrund stellen wolle.
  
  Scholz bedankte sich aus New York bei der SPD-Führungsetage für die Rückendeckung. "Es gibt viele Dinge, die wir jetzt auch in nächster Zeit anpacken müssen", sagte der Kanzler. Dazu gehöre "auch der Kampf um Industriearbeitsplätze. Wenn Unternehmen in der Vergangenheit falsche Entscheidungen getroffen haben, darf das nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden. Und wir werden uns kümmern."
  
  Aus dem SPD-Wahlsieg am Wochenende schließt er: „Es lohnt sich zu kämpfen.“ Er werde als Kanzlerkandidat bei der Bundestagswahl 2025 mit der SPD "das wiederholen, was jetzt in Brandenburg gelungen ist, was vor der letzten Bundestagswahl auch gelungen ist". "Nämlich, dass die SPD als stärkste Partei das Rennen macht."
  
  Quellen: dpa, afp, rtz

  Bildquelle: dpa

• Scholz, Habeck, Lindner Wirtschaftstreffen

  

   Die Spitzen der Ampel-Koalition Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) trafen sich Mittwoch in Berlin, um über die Verwendung der freigewordenen Fördermilliarden für den amerikanischen Chiphersteller-Intel und die wirtschaftliche Lage Deutschlands zu beraten.
  
  Intel plant in Magdeburg ein Werk, das der Bund mit 9,9 Milliarden Euro aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) fördern wollte. Dabei handelt es sich um einen Sondertopf, über den der Bund Klimaprojekte, aber auch Ansiedlungen von wichtigen Technologien fördert. Weil Computer-Chips für viele Industriezweige essenziell sind, sollte so die wirtschaftliche Autonomie Europas gestärkt werden.
  
  Der Chip-Konzern kündigte aber vor wenigen Tagen eine Verschiebung um mindestens zwei Jahre an. Dadurch werden die eingeplanten Gelder vorerst nicht mehr benötigt. In der Regierungskoalition gibt es unterschiedliche Vorstellungen, wie diese eingesetzt werden sollten. Lindner schrieb auf der Online-Plattform X, alle nicht für Intel benötigten Mittel müssten zur Reduzierung offener Finanzfragen im Bundeshaushalt reserviert werden.
  
  Habeck plädiert dagegen dafür, das Geld im KTF zu lassen und zum Beispiel zur Entlastung der kriselnden Industrie zu nutzen. Auch der Chefhaushälter der Union, Christian Haase, warnte die Regierung solle die Milliarden im KTF belassen und damit nicht den Haushalt retten, wenn sie „seriös und haushaltsrechtlich sauber agieren“ wolle.
  
  Auch die schlechten Nachrichten aus der Auto-Industrie sollten Thema des Treffens sein, meldete das Handelsblatt. Gemessen am Umsatz ist die Automobilindustrie nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums "der mit Abstand bedeutendste Industriezweig" in Deutschland. Es drohen massiver Stellenabbau und große Job-Verlagerungen ins Ausland - etwa bei Volkswagen oder beim Zulieferer ZF Friedrichshafen.
  
  Als Gründe für die Krise führt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) stärker werdende internationale Wettweber auf, "die weitaus billiger produzieren als es hierzulande möglich wäre". Standortnachteile in Deutschland wären hohe Energiekosten und langwierige Genehmigungsverfahren. Aber die deutschen Hersteller wie VW und BMW wären auch beim technologischen Wandel zur E-Mobilität hinter Unternehmen wie Tesla (USA) und BYD (China) zurückgefallen. China wäre vor allem auch ein starker Konkurrent, weil das Regime den Absatz von Elektroautos subventioniere.
  
  Scholz hatte angekündigt Industriearbeitsplätze sichern zu wollen. Die SPD brachte eine neue „Abwrackprämie“ beim Ersatz von Verbrennern durch E-Autos ins Spiel. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) dämpfte zuletzt die Erwartungen: Es solle keine Schnellschüsse und keine „Strohfeuermaßnahmen“ geben. Außerdem kenne man die Situation des Bundeshaushalts – der sei geprägt von Sparzwängen.
  
  
  Quellen: dpa, afp

  Bildquelle: dpa/Kay Nietfeld