Die Pandemie ist ausgestanden, der Streit um die richtige Aufarbeitung schwelt weiterhin. Welche Maßnahmen waren effektiv – und welche haben ihre Wirkung verfehlt? Ein Überblick von Daniel Heymann, ZDF-Redaktion Recht und Justiz:
Masken in der Bahn, Anleitungen zum Händewaschen, geschlossene Schulen und mehrmalige Impfungen – all das kommt vielen Menschen inzwischen wie ferne Vergangenheit vor. Tatsächlich liegt der Beginn der Corona-Pandemie nur gut vier Jahre zurück. Eine im Frühjahr 2020 zunächst heruntergefahrene Gesellschaft musste sich Schritt für Schritt zurück in die Normalität bewegen. Das Tempo gab die Politik vor – in einem auch für sie unbekannten Prozess, in dem sie einerseits zwingend auf wissenschaftliche Expertise aus verschiedenen Fachrichtungen angewiesen war, sich aber andererseits auch nicht aus ihrer gesetzgeberischen Verantwortung stehlen durfte.
Wie ist ihr dieser Balanceakt gelungen? Nach dem Willen der Oppositionsparteien soll das eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages klären. Die regierende Ampel zeigt sich in dieser Frage bislang uneins, aber auch in ihren Reihen gibt es prominente Befürworter, etwa Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) oder FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai.
Drei der wichtigsten Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung nehmen wir hier mit Fokus auf ihre medizinische Wirksamkeit in den Blick:
Masken
„Mund und Nase müssen bedeckt sein“ – so oder so ähnlich wurde die Maskenpflicht an zahlreichen Orten, etwa im Bus, im Supermarkt oder im Kino, formuliert. Die Idee: SARS-CoV-2 wird in erster Linie über kleine Luftpartikel, sogenannte Aerosole, übertragen. Deshalb ist es wichtig, sowohl deren Ausbreitung als auch deren Aufnahme beim Sprechen, Lachen, Husten usw. zu unterbinden.
Ein amerikanisches Wissenschaftsteam hat im Oktober 2023 eine große Metastudie vorgestellt, die eine Vielzahl spezifischer Studien aufgreift und zusammenführt. Das Ergebnis: Masken haben die Verbreitung von Coronaviren eingeschränkt. Dabei haben sich die besonders gut filternden FFP2-Masken als wirksamstes Modell erwiesen, aber auch klassische OP-Masken konnten die Übertragung von Viren eindämmen. Die Forschenden weisen darauf hin, dass eine Vielzahl von Faktoren die Wirksamkeit beeinflussen kann: Wird die Maske konsequent getragen oder zwischendurch abgenommen, sitzt sie richtig, wird sie in regelmäßigen Abständen gewechselt – all diese Aspekte spielen eine Rolle.
Impfungen
Noch mehr Polarisierung haben die Impfungen gegen COVID-19 hervorgerufen. Kritiker ziehen bis heute nicht nur den Effekt des Vakzins in Zweifel, sondern äußern auch Bedenken in Bezug auf mögliche Nebenwirkungen. Der Virologe Prof. Klaus Überla, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO), weist beides zurück – vor allem hätten Isolationsmaßnahmen ohne schnell verfügbare Impfstoffe deutlich länger aufrechterhalten werden müssen: „Ohne die Impfungen hätten wir unsere Kontakte viel länger und intensiver einschränken müssen, sonst hätte es gerade unter älteren Menschen deutlich mehr Todesfälle gegeben. Die Anfangszeit der Pandemie gerät häufig in Vergessenheit, aber wenn man sich die Zahlen und Bilder etwa aus Bergamo noch einmal vergegenwärtigt, zeigt sich, welche Gefahr von dem Virus ausging. Und auch in Deutschland haben die Intensivstationen an der Belastungsgrenze gearbeitet – teilweise darüber. Wenn es noch länger so weiter gegangen wäre, hätten die Krankenhäuser andere Behandlungen zurückstellen müssen. Die Impfung war ein entscheidender Schritt, um die Ausbreitung von COVID-19 zu bremsen, vor schweren Verläufen zu schützen und letztlich in die Normalität zurückkehren zu können."
Die Impfungen müssten in den verschiedenen Phasen der Pandemie differenziert betrachtet werden, so Überla. Sie hätten mehrere Funktionen, die je nach Zeitpunkt mehr oder weniger im Vordergrund standen: „Als die Impfstoffe erstmals zur Verfügung standen, ging es um beide Dinge gleichermaßen: Verlangsamung der Virusausbreitung auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene und Schutz vor schweren Krankheitsverläufen auf individueller Ebene. Mit Aufkommen der Omikron-Variante war der reine Ansteckungsschutz der Impfung verringert, da war die Vermeidung schwerer Verläufe wichtiger. Dafür waren die Impfungen weiterhin sehr hilfreich.“
Der STIKO-Vorsitzende betont außerdem, dass alle Wirkstoffe gute Wirksamkeitswerte erzielt hätten, wobei es Hinweise gebe, dass die mRNA-basierten Impfstoffe, also etwa von BioNTech/Pfizer, im Vergleich etwas effektiver waren als virale Vektorimpfstoffe wie der von AstraZeneca. Mit Blick auf Nebenwirkungen sei zu unterscheiden zwischen der unmittelbaren Impfreaktion und längerfristigen, schweren Gesundheitsauswirkungen: „Die akute Reaktion, also z.B. Schmerzen oder Schwellungen an der Einstichstelle, war gerade bei den mRNA-Impfstoffen in der Tendenz relativ stark, das hat man häufiger zwei oder drei Tage gespürt. Wenn es um schwere Nebenwirkungen geht, die für die Betroffenen gravierende Folgen haben können, bewegen sich die Corona mRNA-Impfungen in einem ähnlichen Bereich wie andere Impfstoffe .“
Insgesamt habe laut Überla der Nutzen der Impfung gegenüber den Schäden eindeutig überwogen.
Schulschließungen
Ein anderes Bild ergibt sich mit Blick auf die Schulschließungen während der Pandemie, die in Deutschland im Vergleich zu Nachbarländern lange gedauert haben. Kinder und Jugendliche hätten zunächst ebenso wie Erwachsene ein Recht darauf, vor Ansteckung geschützt zu werden, meint Julian Schmitz, Professor für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie an der Universität Leipzig. Bei ihnen müsse man aber andere Faktoren, etwa psychisches Wohlbefinden, soziale Kontakte und Lernmöglichkeiten, besonders berücksichtigen:
Zitatbox: „Wir haben insgesamt in der Pandemie eine Verschlechterung der psychischen Gesundheit von Kindern gesehen – durch das Virus an sich, aber auch als Folge von Infektionsschutzmaßnahmen. Gerade der Wegfall von Präsenzunterricht hat vielen Kindern und Jugendlichen psychisch zugesetzt. Depressionen, Angst- und Schlafstörungen haben in der Pandemie zugenommen. Daraus kann sich mit Blick auf die Schule auch ein Teufelskreis entwickeln: Kinder mit diesen Krankheitsbildern können schlechter lernen – und empfinden dadurch noch mehr Stress und psychische Belastung, mit Auswirkungen über die Dauer der Schulschließungen hinaus.“
Der Psychologe weist in diesem Zusammenhang auch auf die unterschiedlichen sozialen Ausgangslagen bei Kindern und Jugendlichen hin. In prekären Verhältnissen fehle es oft an Arbeitsplätzen, Material und weiterer Betreuung, sodass Schülerinnen und Schüler in entsprechenden Situationen überdurchschnittlich stark unter der Pandemie gelitten hätten. Laut Schmitz werde das Problem verstärkt durch eine fragwürdige politische Prioritätensetzung: „Hier standen zwar in allen Büroräumen Luftfilter, aber für die Schulen wurde lange diskutiert, ob man sie überhaupt anschaffen will.“
Für die Zukunft wünscht er sich eine stärker vorausschauende Planung, die die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen ernster nimmt und die Expertise verschiedener Fachdisziplinen berücksichtigt. Man müsse in einer Pandemie den Infektionsschutz gewährleisten und gleichzeitig die psychologische Situation junger Menschen im Blick haben:„Gerade in der Schule geht es auch um den Kontakt mit Gleichaltrigen, den man in diesem Alter braucht. Außerdem gibt es klare Zusammenhänge zwischen psychischem Wohlbefinden und Lernerfolg. Andere Länder haben gezeigt, dass man Infektionsschutz, psychische Gesundheit und Bildungsteilhabe verbinden kann, z.B. mit klugen Wechsel-unterrichtmodellen, die auch individuell auf Schülerinnen und Schüler zugeschnitten sind.“
Fazit
Viele der getroffenen Maßnahmen hatten einen positiven medizinischen Effekt im Kampf gegen Corona – allerdings nicht alle gleichermaßen. Während Masken und Impfungen einen deutlich schlimmeren Verlauf der Pandemie verhindert haben, hatten Schulschließungen nur einen kleinen Effekt auf das Infektionsgeschehen – mit dafür teilweise erheblichen Nebenwirkungen, insbesondere zulasten junger Menschen.
Derlei Urteile lassen sich im Juni 2024 freilich leicht fällen. Gesetzgeber und Verwaltung standen vor allem 2020 und 2021 vor einer ungleich komplizierteren Aufgabe. Ihnen fehlte es im Angesicht eines neuen und ständig mutierenden Virus gleich an zwei Dingen: an Zeit und an einer stabilen Datenlage. Das gibt gleichzeitig Anlass zur Kritik, denn viel deutet darauf hin, dass eine bessere Vorbereitung auf die Pandemie möglich gewesen wäre. Die strukturellen Probleme des Gesundheitssystems oder im Bildungsbereich reichen viele Jahre zurück. Sie äußern sich bis heute, z.B. in Gestalt mangelnder Digitalisierung und chronischer Unterfinanzierung.
So sehr die Pandemie die Gesellschaft auch emotional getroffen hat: Ihre Aufarbeitung, ob in Gestalt einer Enquete-Kommission oder in anderer Form, gelingt im besten Fall nüchtern und differenziert. Sie benennt Fehler und die daraus zu lernenden Lektionen – ohne den allzu menschlichen hindsight bias (Rückschaufehler).
Bildquelle: dpa
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