Notfall Ambulante Versorgung: Niedergelassene Ärzte warnen

    Notfall ambulante Versorgung:Niedergelassene Ärzte warnen vor dem Kollaps

    von Britta Spiekermann und Sophie Ritter
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    Frust, Wut, Resignation - niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sehen sich am Rande des Burnout. Die Patientenversorgung sei in Gefahr. Das kann schmerzhaft werden.

    Ein Arzt misst den Blutdruck eines Patienten
    Hausärzte klagen über eine zunehmende und kaum mehr zu stemmende Belastung.
    Quelle: dpa

    Der Saal steht. Im Veranstaltungsraum eines Berliner Hotels sammelt und entlädt sich die "aufgebrauchte Leidensfähigkeit" beim Krisentreffen aller kassenärztlichen Vereinigungen. Es ist ein Krisentreffen, das es so noch nie gegeben hat.
    Die ambulante Versorgung sei so bedroht, dass ihre Sicherstellung "radikal neu definiert" werden müsse. Das ist eine Drohung. Andreas Gassen, oberster Standesvertreter der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten, sendet SOS und ist nicht verlegen um markige Worte. "Zum Mitschreiben", falls es das Bundesgesundheitsministerium noch nicht begriffen habe:

    Ärztliche und psychotherapeutische Leistungen sind kein all-you-can-eat-Buffet mit eingebauter Flatrate, alle erbrachten Leistungen müssen bezahlt werden.

    Andreas Gassen, Vorsitzender Kassenärztliche Vereinigung

    Wieder steht der Saal.

    Niedergelassene als "Spitzenverdiener" - die großen Gehaltsunterschiede

    Ist all das nur wortgewaltiges Jammern auf hohem Niveau? Schließlich zählen Ärztinnen und Ärzte nach wie vor zu den Spitzenverdienern; allerdings variieren die Honorare stark nach Fachgebiet.
    Ganz vorne stehen nach wie vor Radiologinnen und Radiologen, weiter unten zumeist allgemeinmedizinische Praxen und besonders Psychotherapeutinnen und -therapeuten.
    Für das Jahr 2019 ermittelte das Statistische Bundesamt einen durchschnittlichen jährlichen Reinertrag ärztlicher Praxen von 296.000 Euro. Davon müssen Niedergelassene noch Steuern, Altersvorsorge und Versicherungen bezahlen. Was netto beim Praxisinhaber pro Monat hängenbleibt, ist schwer zu ermitteln, das Portal SpringerMedizin errechnet durchschnittlich 13.000 Euro netto pro Monat.

    Fachkräftemangel schlägt auf Arztpraxen durch

    Dr. Petra Reis-Berkowicz ist in erster Linie Allgemeinmedizinerin, in zweiter Funktionärin. Seit über 30 Jahren hat sie eine eigene Praxis.

    Wir arbeiten rund um die Uhr.

    Petra Reis-Berkowicz, Allgemeinmedizinerin

    Spitzenverdienst sei ein Unwort, um im gleichen Atemzug zu betonen, dieser stehe ihr angesichts von Spitzenarbeitszeiten zu. Neiddebatten führten nicht weiter. Ihr breche das Personal weg, der Fachkräftemangel schlage voll auf die Praxen durch. Auch sie glaubt, dass ein Ende der Budgetierung, kommen müsse - also der Grenzen, was Ärzte pro Quartal ausgeben dürfen.
    Auch wenn dies zur Folge habe, dass mehr Steuermittel aufgewendet werden müssten oder Beiträge stiegen. "Diese Entscheidung ist nicht meine, sondern Aufgabe der Politik," sagt sie mit kontrollierter Wut.

    Ampel-Koalition hat Ende der Hausärzte-Budgetierung versprochen

    Tatsächlich steht im Koalitionsvertrag der drei Ampelparteien ein wichtiger Satz für Hausärztinnen und Hausärzte: "Wir heben die Budgetierung der ärztlichen Versorgung im hausärztlichen Bereich auf."
    Der Berufsstand klagt schon seit Jahren darüber, dass er nicht selten "für null" arbeitet, wenn Patientinnen und Patienten versorgt werden, das Budget aber längst aufgebraucht ist. Karl Lauterbach steht im Wort, doch sind sowohl die Spielräume der Krankenkassen als auch für Steuerzuschüsse deutlich enger geworden.
    Schalten Ärztinnen und Ärzte deswegen auf stur, wenn es um die Terminvergabe geht? Zunehmend klagen Patientinnen und Patienten darüber, besonders bei Fachärztinnen und - ärzten ins Leere zu laufen. Die Ärztevertretung spielt den Ball kühl zurück, verweist auf Akutsprechstunden und entsprechende Termin-Portale.

    Suche nach Nachfolgern in vielen Praxen erfolglos

    Niedergelassene in der Krise? "Wie nie", sagen sie selbst. Nicht nur, dass die Bevölkerung älter werde und damit versorgungsintensiver, nicht nur, dass Fachkräfte schwer zu finden und teuer seien, nicht nur, dass die Bürokratie überbordend und die Digitalisierung abschrecke, es gebe darüber hinaus ein Nachfolgeproblem.
    Absolventen, die eine Niederlassung ins Auge fassen, müssen sich meist hoch verschulden, um einen Arzt-Sitz zu kaufen. Jüngere achteten auch stärker auf ihre "Work-Life-Balance", wie die Allgemeinmedizinerin Reis-Berkowicz in ihrem Arbeitsalltag diagnostiziert. Sie mag sich gar nicht ausmalen, wie es weitergeht, wenn ihre Generation "so um die 60" bald in Rente geht.

    Marktlücke für Investoren: Arztleistungen mit Rendite

    Diese "Marktlücke" haben Finanzinvestoren entdeckt und bieten eine vermeintlich gute, allerdings potenziell gefährliche "Lösung". Sie kaufen Praxen und bieten Jüngeren ein geregeltes Angestelltenverhältnis ohne viel Bürokratie, da diese meist von einer Geschäftsführung erledigt wird.
    Der Haken: Hohe Renditeerwartungen könnten zu Behandlungen nach Gewinnerwartung führen. In einem vertraulichen Gespräch offenbarte neulich ein Anwalt die Zweischneidigkeit.
    Er berät Investoren, gleichzeitig sagt er, diese hätten in Praxen eigentlich nichts zu suchen, schließlich gehe es um die Beiträge der Versicherten. Man befinde sich, so seine Schlussfolgerung, auf einem ungesunden Weg.

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