Rückzug aus Cherson – Was passiert bei ZDFheute live?
Hupkonzerte, Jubelschreie, ukrainische Fahnen – viele der verbliebenen Einwohner von Cherson haben den Abzug der russischen Truppen gefeiert. Bilder und Videos in den sozialen Medien sollen zeigen, wie etwa die blau-gelbe Flagge wieder auf dem Gebäude der örtlichen Gebietsverwaltung gehisst und ukrainische Soldaten enthusiastisch empfangen wurden. Am Morgen teilte das russische Militär mit, dass keine Einheiten mehr auf der Westseite des Flusses Dnipro stünden. Laut Medienberichten soll zudem die strategisch wichtige Antoniwkabrücke gesprengt worden sein. Diese sei die einzige nahegelegene Straßenverbindung aus Cherson über den Dnipro zum russisch kontrollierten Ostufer. Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte vorher erklärt, dass im Süden des Landes 40 Ortschaften wieder unter ukrainischer Kontrolle seien. Auf den russischen Abzug reagierte Selenskyj misstrauisch. "Der Feind macht uns keine Geschenke, macht keine Gesten des guten Willens", warnte er. Daher gehe die ukrainische Armee "sehr vorsichtig, ohne Emotionen, ohne unnötiges Risiko" vor.
Mehrfach hatte die Führung in Kiew Russland vorgeworfen, die ukrainischen Truppen in eine Falle locken zu wollen. Präsidentenberater Mychajlo Podoljak warnte, die abziehenden Russen könnten Cherson vermint haben. Von russischer Seite heißt es, durch den Abzug könne das Leben tausender Soldaten gerettet werden. Diese waren in Cherson durch die Ende August gestartete ukrainische Gegenoffensive unter Druck geraten. Mit vom Westen gelieferten Artilleriegeschützen großer Reichweite beschoss Kiew wochenlang ununterbrochen russische Munitionslager und Nachschublinien in der Region. Cherson ist die einzige Regionalhauptstadt, die russische Truppen seit Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine erobert hatten. Was bedeutet der Rückzug aus der strategisch wichtigen Stadt Cherson? Muss die Ukraine mit einer Falle rechnen? Und wie groß sind die russischen Verluste wirklich? Darüber spricht ZDFheute live mit dem Militärexperten Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations und ZDF-Reporter Dara Hassanzadeh in Kryvyj Rih.
Ukrainische Gegenoffensive – Warum ist das wichtig?
Der Truppenabzug ist ein erheblicher Rückschlag für den Kreml. Moskau hatte Cherson zusammen mit drei weiteren ukrainischen Regionen im September für annektiert erklärt und beharrt darauf, dass diese Gebiete "für immer" russisch bleiben würden.
Ohne die Stellung in Cherson sind russische Vorstöße in Richtung der ukrainischen Stadt Mykolajiw und zum Schwarzmeerhafen Odessa fast unmöglich. Außerdem wären die ukrainischen Truppen von Cherson aus in der Lage, mit Langstreckenartillerie direkt die Krim anzugreifen. Dieser zweite große Rückzug innerhalb von zwei Monaten könnte auch die Moral der russischen Truppen schwächen – zumal hunderttausende Reservisten im Einsatz sind, von denen die meisten wenig militärische Erfahrung haben.
Präsident Selenskyj zeigte sich in seiner Videoansprache am Donnerstagabend über die Erfolge der ukrainischen Armee zufrieden und sprach "von guten Nachrichten aus dem Süden".
Kreml-Sprecher Peskow beantwortete Fragen, ob die Niederlage in Cherson für Putin erniedrigend sei, mit "Nein". Die Region bleibe Teil der Russischen Föderation.
Mit Material von dpa und afp.