Die Kontraste der Gemütslagen bei Borussia Dortmund und beim FC Bayern hätten hinterher nicht größer ausfallen können, nachdem der BVB ins Pokalfinale gegen Eintracht Frankfurt am 27. Mai in Berlin eingezogen war. Während die Münchner umfassend trauerten, standen die Dortmunder Sven Bender und Roman Bürki nebeneinander vor den Kameras und Mikrofonen und scherzten miteinander über ihre Schlüsselszene, als Bender nach einer guten Stunde kurzzeitig den Vertretungsdienst für Torwart Bürki übernommen und auf der Linie mit dem Fuß Arjen Robbens Schuss an den Pfosten gelenkt hatte.
Jubelgesänge und Bierkisten
Der Kollege habe wohl keine Lust mehr gehabt, witzelte Bender nach seiner Großtat, die die mögliche Vorentscheidung zum 3:1 für die Münchner verhindert hatte. „Bis dahin hatte ich Lust, dann musste er ran. Hat er überragend gemacht“, erwiderte der Schweizer ebenso vergnügt. Statt den Deckel auf einen packenden und hoch intensiven Pokalabend zu machen, erlebten die Bayern eine erneute Wendung. 0:1 hatten sie durch das Tor von Marco Reus in der 19. Minute zurückgelegen, noch vor der Pause drehten sie durch die Tore der beiden Innenverteidiger Javier Martínez (28.) und Mats Hummels (41.) das Spiel. Doch dann folgte gleich mehreren Chancen zur Vorentscheidung wie jener von Robben die erneute Volte, als Pierre-Emerick Aubameyang (69.) und Ousmane Dembélé (74.) zum Sieg der Gäste trafen.
Zwei Bierkisten wurden danach eilig in die BVB-Kabine getragen, aus der laute Jubelgesänge drangen. Auch für Trainer Thomas Tuchel fühlte sich der Einzug ins Pokalfinale „sensationell gut an“. Sportdirektor Michael Zorc sagte mit Blick auf den Bombenanschlag auf den Mannschaftsbus der Borussia vor gut zwei Wochen: „Das ist eine große Genugtuung. Wenn es eine Mannschaft verdient hat nach den letzten Wochen, ein bisschen Glück zu haben und nach Berlin zu fahren, dann Borussia Dortmund.“
Auf der anderen Seite standen nach der 2:3 (2:1)-Niederlage in der eigenen Arena die bedröppelten und beinahe fassungslosen Münchner. Betreten, um Worte und Erklärungen ringend, versuchten sie den zweiten bitteren Abschied von ihren Titelhoffnungen binnen acht Tagen nach jenem im Viertelfinale der Champions League gegen Real Madrid irgendwie einzuordnen. Präsident Uli Hoeneß verließ nachdenklich und mit hochrotem Kopf den Kabinengang und überließ es lieber Karl-Heinz Rummenigge, die nächste große Enttäuschung zum Ausdruck zu bringen.
„Das ist eine Niederlage, da brauchen wir nicht groß rumreden, die weh tut. Das, was wir innerhalb einer Woche erlebt haben, Madrid und jetzt, das ist nicht so einfach zu verkraften“, sagte der Vorstandsvorsitzende, „es ist kein guter Abend, um über die Zukunft nachzudenken. Jetzt muss man erstmal in Ruhe die Wunden lecken. Und das sind Wunden.“ Erst zu gegebener Zeit werde man die Saison bewerten und sich über die Zukunft Gedanken machen.
Meistertitel wirkt nun ein wenig schal
Die Ergebnisse der Bewertung und die Schlüsse daraus sind allerdings schon absehbar. Die erste Saison unter Trainer Carlo Ancelotti wird so wenig zufriedenstellend ausfallen wie kaum eine andere seit 2011, als die Bayern letztmals das Halbfinale der Champions League verpassten. Nun wird noch nicht einmal das halbwegs tröstende Double Eingang in den Trophäenschrank der erfolgsverwöhnten Münchner finden. Der so gut wie sichere Gewinn der Schüssel, der Rekord von fünf Ligatiteln hintereinander, wird auch mit etwas Abstand ein bisschen schal wirken. Und, so mutmaßte Innenverteidiger Mats Hummels, womöglich zu ähnlichen Prozessen führen wie 2012, als die Bayern ähnlich bedröppelt dastanden nach einer Saison, in der sie in allen Wettbewerben nur Zweiter geworden waren.
„Einige enttäuschende Situationen in dieser Saison für uns“ habe es gegeben, bilanzierte der ehemalige Dortmunder, „ich weiß nicht genau, welche Rädchen sich anfangen zu drehen. Kann natürlich auch sein, dass es dafür sorgen wird, was wir 2012 mit Dortmund mit dem Double ausgelöst haben, dass da richtig was vorangetrieben wird.“
FC Bayern: Zenit überschritten
Ein Umbruch steht bei den Bayern ohnehin an. Kapitän Philipp Lahm und Xabi Alonso werden nach dem letzten Ligaspiel gegen den SC Freiburg am 20. Mai ihre Karrieren beenden. „Meine letzten Wochen als Fußballprofi will ich genießen, aber das fällt natürlich heute sehr, sehr schwer“, bekannte Lahm niedergeschlagen. Robben, 33, und Franck Ribéry, 34, werden in absehbarer Zeit ebenfalls in den Ruhestand treten, womöglich nach der kommenden Saison. Der Zenit der Mannschaft scheint ohnehin überschritten. Und ein bisschen wirkte es auch so, dass der Sieg der jungen Dortmunder Mannschaft ein Versprechen für die Zukunft sein könnte.
Der Bombenanschlag und der Erfolg nun gehörten für ihn nicht zusammen, sagte Tuchel zwar. „Aber wir haben uns kennengelernt auf eine Art und Weise, auf die wir gerne verzichtet hätten, aber die trotzdem wahnsinnig werthaltig war“, führte er aus und erkannte in dem Attentat durchaus einen möglichen „Klebstoff“, den man nur durch außergewöhnliche Erlebnisse bekomme. Tuchel befand: „Dieser Erfolg ist fürs Selbstvertrauen und für die Entwicklung der Mannschaft unersetzbar.“ Am 27. Mai könnte der 43-Jährige in seiner zweiten und zuweilen von Dissonanzen geprägten Saison beim BVB seinen ersten Titel gewinnen. Die Bayern werden zusehen, und über die Folgen für die Entwicklung ihrer Mannschaft nachdenken.