Rund 8.400 erkrankte Menschen warten in Deutschland auf ein Spenderorgan, vor allem auf Niere, Leber, Herz und Lunge. Eine Organtransplantation ist für sie oft die einzige Überlebenschance; 2022 verstarben im Schnitt täglich zwei Menschen auf der Warteliste. Doch in Deutschland gibt es zu wenige Organspender*innen: Auf eine Million Einwohner*innen kamen 2022 nur rund 10,3 Spender*innen, viermal weniger als z.B. in Spanien. Anders als in Deutschland gilt dort und in vielen anderen Ländern mit höheren Organspende-Raten die sogenannte Widerspruchslösung. Während bei uns per Gesetz nur Verstobene Organe spenden dürfen, die zu Lebzeiten zugestimmt haben, wäre nach der Widerspruchslösung erst einmal jeder Mensch Spender*in, der dem nicht widersprochen hätte. Sollte auch in Deutschland die Widerspruchlösung gelten? Und würde eine Gesetzesänderung wirklich zu mehr Organspenden führen?
Die Entscheidung ist ausschlaggebend
Im Alter von 1,5 Jahren bekam Marius die Diagnose Mukoviszidose. Die chronische Stoffwechselerkrankung schädigte seine Lunge so stark, dass er mit 11 auf ein neues Organ angewiesen war. Marius wurde auf die Warteliste gesetzt, doch eine passende Lunge blieb aus. Sein Zustand verschlechterte sich, er wurde ins künstliche Koma versetzt und schließlich doch gerettet – nicht aber durch die Lunge eines verstorbenen Spenders, sondern durch die erste Lebendlungenspende Europas: Von seinen beiden Eltern bekam Marius je einen Teil der Lunge transplantiert.
Heute klärt der 23-Jährige mit seiner Geschichte über Organspende auf und kämpft für eine Gesetzesänderung: "Die Widerspruchslösung ist der einzige Weg, der zu einer Verbesserung der Spenderzahlen führen würde." Die Statistik zeige, dass die Mehrheit der Bevölkerung positiv gegenüber der Organspende eingestellt sei, aber deutlich weniger Menschen einen Organspendeausweis besitzen: "Die Widerspruchslösung deckt diese große Lücke ab und wird dem Willen der Bevölkerung gerecht." Auch wenn es für Marius keinen Grund gibt, nicht Organspender*in zu werden, zählt für ihn vor allem eines: "Entscheidend ist die Entscheidung. Jedem, dem es wichtig ist nein zu sagen, der kann das ja tun."
Schweigen ist keine Zustimmung
Auch Peter kann sich grundsätzlich vorstellen, seine Organe nach dem Tod zu spenden, überlässt die letzte Entscheidung aber seinen Angehörigen: "Sie haben das Recht zu entscheiden, mit mir persönlich Abschied zu nehmen und mich nicht in diese Prozedur der Organspende hineinzugeben." Von der Widerspruchslösung hält Peter allerdings wenig: "Es ist ein Trugschluss anzunehmen, dass die Widerspruchsregelung das Instrument für ganz ganz viele Organspender wäre."
Als 2019 der Bundestag darüber debattierte die Widerspruchslösung einzuführen, beriet Peter als Vorsitzender des Deutschen Ethikrats die Gruppe, die dies mit Erfolg verhinderte. Dass ein Mensch, der nicht widerspreche, automatisch zum Organspender werde, hält der 59-jährige Ethiker für sehr problematisch: "Zustimmung ist sonst immer die Bedingung dafür, dass wir medizinische Eingriffe durchführen. Schweigen gilt sonst in keinerlei Vertragsbeziehungen als Zustimmung, warum sollte es bei einer so wichtigen Frage, wo es um Leben und Tod geht, anders sein?"
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Bei Sag's mir begegnen sich zwei Menschen, die die Widerspruchslösung ganz unterschiedlich bewerten. Gelingt es zwei Fremden, sich trotz verschiedener Meinungen anzunähern?
Sag's mir mit den Gästen Marius Schaefer, Student und Lungentransplantierter, sowie Peter Dabrock, Ethiker, Theologe und ehem. Vorsitzender des deutschen Ethikrates.