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Endet die lange liberale Tradition der USA?
Gewinnt Donald Trump die Wahl, endet möglicherweise die lange liberale Tradition der USA. Darüber diskutiert Richard David Precht mit dem Politikwissenschaftler Patrick J. Deneen. Deneen gilt als der intellektuelle Mentor von Trumps Vize J.D.Vance. Und selten standen sich in einem US-Wahlkampf derart konträre Gesellschaftsvorstellungen einander gegenüber.
Auf dem Spiel steht das Fundament der USA
Die liberale Demokratie. Die Wahlen in den USA gelten als Richtungswahlkampf zwischen dem bisherigen liberalen Kurs wie ihn die Demokraten unter Kamala Harris und Tim Walz vertreten und möglicherweise einem radikalen Bruch mit der liberalen Tradition durch Donald Trump und J. D. Vance. Patrick Deneen beschwichtigt: Der Unterschied zwischen einer demokratisch oder republikanisch geführten Regierung werde nicht sonderlich groß werden. Das politische System der USA gebe dem jeweiligen Präsidenten kaum effektiven Entscheidungsspielraum. So dürfe man auch kaum Verbesserungen erwarten, ganz gleich, wer die US-Wahl im November gewinnen wird. Es bedürfe tiefgreifender Veränderungen in der amerikanischen Politik, damit sich der einfache Bürger wieder verbunden fühle mit den Regierenden.
Verantwortungsgefühl für das Gemeinwohl
In seinem Buch "Warum der Liberalismus gescheitert ist“ vertritt Deneen die These, dass sich die Freiheit des Individuums in unseren liberalen Gesellschaften bis in die feinsten Verästelungen radikal entfalten konnte. Dabei blieb jedoch das Verantwortungsgefühl für das Gemeinwohl auf der Strecke. Anstatt unsere sozialen und kulturellen Werte zu schützen, streben wir immer selbstverständlicher nach ungehemmter Selbstverwirklichung und ultimativer Freiheit. All dies seien Zeichen dafür, das der Liberalismus sich "zu Tode gesiegt“ habe. Für den konservativen Denker würden heute besonders die Werte traditioneller Kultur, der Familie, der Religion oder der Staatstreue vernachlässigt.
Das Paradoxe laut Deneen
Je mehr individuelle Freiheit uns möglich gemacht wird, umso mehr rufen wir nach einem regulierenden Staat, der uns Halt und Ordnung geben kann. Je mehr wir unser radikales freies Selbst leben, stehen wir dennoch den von uns geschaffenen Umständen immer ohnmächtiger gegenüber. Richard David Precht hält dagegen: Er kenne diese kritische Perspektive eher aus dem linken politischen Lager. Dort aber spricht man von einer allgemeinen Entfremdung für die man weniger den Liberalismus verantwortlich mache, sondern den Kapitalismus. Müsse man daher nicht eher in den wirtschaftlichen Bedingungen die Ursachen sehen als im Liberalismus?
Nicht nur Marx, sondern auch die Rechtskonservativen hätten dem Kapitalismus kritisch gegenübergestanden, erklärt Deneen. Er wünscht sich daher eine Rückbesinnung auf die urdemokratischen Kräfte etwa der Zeit der amerikanischen Gründerväter. In den Townships der ersten Siedler habe es noch jenes Gleichgewicht zwischen Rechten und Pflichten, zwischen dem souveränen Selbst und der verantwortungsbewussten Gemeinschaft gegeben. Doch in der Geschichte gibt es kein Zurück, moniert Precht. Beschwört Deneen mit Schlagworten wie Familie, Religion oder gar Nationalismus nicht Werte, die sich in unserer modernen Welt längst nicht mehr in einem rein positiven Licht darstellen lassen?
Biografisches zu Patrick J. Deneen
Patrick John Deneen, geboren 1964 in Hartford, Connecticut, ist US-amerikanischer Politikwissenschaftler an der katholischen University of Notre Dame in Indiana. Deneen studierte Anglistik und Politikwissenschaften an der Rutgers University of New Jersey.
Von 1997 bis 2005 lehrte er erst an der Princeton University anschließend von 2005 bis 2012 an der Georgetown University in Washington, D.C.. 1995 erhielt er für seine Dissertation "The Odyssey of Political Theory“ den Leo Strauss Award für die beste Dissertation in Politischer Philosophie. In seinem Buch von 2018 "Warum der Liberalismus gescheitert ist“ proklamiert er die Notwendigkeit eines neuen Freiheitsbegriffs. Anstatt einer überzogenen Freiheit des Individuums müsse es ein Zurück zum antiken Freiheitsverständnis geben, welches ein Freisein von Trieben und eine Selbstbeschränkung anstrebt. Er beklagt den Verlust des Gemeinwohls und der traditionellen Werte wie Familie, Religion und Nationalismus.
In seinem zweiten Buch "Regime Change“ (2023) wird er deutlicher, wie er sich eine postliberale Zukunft vorstellt. Dabei beruft er sich primär auf erzkonservative Vorstellungen wie sie die amerikanischen Gründerväter damals in den Townships repräsentierten. Kritik löste nicht nur seine Rückwärtsgewandtheit aus, sondern auch sein Faible für die autokratische Politik eines Viktor Orban. Im gegenwärtigen US-Wahlkampf positioniert er sich zugunsten eines J.D. Vance, welcher Deneen als seinen geistigen Mentor lobt.