Darüber spricht Richard David Precht mit dem Erfinder der PISA-Studie und OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher.
Bessere Bildung ist wichtig
Lehrermangel, veraltete Unterrichtskonzepte, schleppende Digitalisierung: Seit Jahrzehnten sieht die Politik der wachsenden Bildungsmisere zu, obwohl Wissenschaft, Lehrkräfte, Schülerkonferenzen und Eltern die Missstände immer lauter beklagen.
Schleicher beobachtet eine zunehmende ökonomische, kulturelle und politische Polarisierung der Gesellschaft und schließt daraus: „Wir haben im Grunde nur ein Instrument, um irgendwo eine Grundlage zu schaffen, das ist Bildung. Wir haben viele Instrumente, um am Ende umzuverteilen, aber wir können an den Ursachen von Ungleichheit nur durch bessere Bildung arbeiten, und deswegen ist das so wichtig.“
Mehr Gestaltungsräume notwendig
Die meisten Schülerinnen und Schüler sind in unserem Schulwesen Konsumenten vorgefertigter Lerninhalte, die in einem hierarchischen und, wie Schleicher es nennt, „industriell geprägten Bildungssystem“ entwickelt wurden. Lehrkräfte seien zu Dienstleistern, Kinder und Eltern zu Kunden geworden. Das Herz der Bildungsidee ist verloren gegangen.
In vielen anderen Ländern sieht der Bildungsforscher gleichzeitig, dass ein Aufbrechen alter, verkrusteter Lernsysteme gewagt wird, obwohl dafür nicht selten auch althergebrachte Glaubenssätze, Regeln und Systeme aufgebrochen werden, wie beispielsweise in Polen, Portugal oder China. An deutschen Schulen herrscht ein falsch verstandener Konformismus, der die Autonomie von Lehrern und Schülern ausbremst – nicht zuletzt durch eine erdrückende Bürokratie: „Wir brauchen einfach mehr Gestaltungsspielräume. Wenn Sie in Deutschland schauen: 17 Prozent aller Entscheidungen werden hier vor Ort in den Schulen getroffen. Im Nachbarland Niederlande sind es 9 von 10 Entscheidungen, um genau zu sein 93 Prozent.“
Alle Akteure sind gefragt
Und Länder wie etwa Finnland machen vor, wie man bei der Einstellung von Lehrpersonal die pädagogische und soziale Eignung der Kandidaten sicherstellt. Frühe praktische Erfahrung spiele dort eine viel entscheidendere Rolle als Uni-Noten. Dazu kommt: Würden wir die Schulen vorrangig gemessen an ihren Herausforderungen finanzieren, würde es für Lehrkräfte plötzlich spannend und interessant, sich um die schwierigsten Schülerinnen und Schüler zu kümmern. Schweden zum Beispiel hat das so gemacht. Dort werden die Lehrkräfte individuell entlohnt.
Auf die Frage, warum all die guten Ideen für bessere Bildung nicht unmittelbar in den Schulen ankommen, hat Schleicher eine Antwort: weil man mit Bildung keine Wahlen gewinnt. Deshalb sei es so wichtig, dass Schulen sich ihren eigenen Freiraum nehmen und sich eben jener Selbstwirksamkeit bewusst werden, die sie auch den Kindern und Jugendlichen vermitteln sollten. Zuallererst ist die Politik, aber am Ende sind alle Akteure gefragt: „Was man braucht, ist wirkliches „Leadership“, Menschen, die bereit sind, das Richtige zu tun und sich einzusetzen, auf jeder Ebene des Systems.“