Auch viele andere Staaten sind nur noch auf dem Papier eine Demokratie. De facto werden häufig einzelne Bevölkerungsgruppen bevorteilt. Die Menschheit sollte sich dringend auf eine Formulierung gleicher Grundrechte für alle Menschen verständigen.
Identitätspolitikt auf dem Vormarsch
In Israel wurde unlängst der erste Teil der Justizreform der Regierung Netanjahu verabschiedet. Sie beschränkt die Gewaltenteilung im Land und verleiht der Regierung eine enorme Macht. Kritiker sehen nicht weniger als die Demokratie in Gefahr. Und sie fürchten, dass die jüdische Identitätspolitik den Konflikt mit den Palästinensern noch einmal erheblich verschärft. Solche Identitätspolitik, die Religion oder Nation über die universellen Werte des Humanismus stellt, ist inzwischen in vielen Ländern auf dem Vormarsch.
Omri Boehm möchte dieser um sich greifenden Verstümmelung der Demokratien einen, wie er es nennt, radikalen Universalismus entgegensetzen. Für ihn gibt es, angelehnt an Immanuel Kant, keinen Vorzug irgendeiner Gruppe vor anderen. Von daher lehnt Boehm die Identitätspolitik der Konservativen und Orthodoxen in Israel streng ab. Das "Wir" sei das Menschengeschlecht, ein vereinendes Wort und eben kein ausschließendes und unterscheidendes. Im Sinne der wahren Aufklärung halte es Boehm für notwendig, sich auf universelle Werte zu verständigen, die einen allgemeinen Humanismus verteidigten und nicht einen, der nur für die Menschen einer bestimmten Religion, Ethnie oder auch Nation gelte. Versprechen wie, "die Würde des Menschen ist unantastbar" müssten absoluten Bestand haben.
Allgemeines Recht auf Menschenwürde
Boehm kritisiert aber nicht nur die Identitätspolitik von rechts. Aktuell gäbe es ebenso eine Tendenz der Linken, sich zum Zwecke der eigenen Ziele über die universalen Werte hinwegsetzen zu wollen. Allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, so Boehm, dass die Linke Menschen schützen möchte, die ohne Macht sind, während die Rechten die Privilegien der Mächtigen erhalten wollen. Dies gelte vor allem für Israel.
Das Kant'sche Konzept der allgemeinen Menschenwürde fand großen Anklang, umgab es den einzelnen Menschen doch mit einer Art säkularisierter Firewall und befreite ihn aus der vorgegebenen Bestimmung des Menschen durch die Religion. Das Recht auf Menschenwürde, vermutet Boehm, würde auf die damit einhergehenden Gesetze bezogen, und jeder Zweifel an diesen Gesetzen hätte daher auch ein Misstrauen gegenüber dem universalistisch gemeinten Ursprung dieser Gesetze zu Folge. Zu oft würden gerade in Israel die Prinzipien der Menschenwürde zum Zwecke der Durchsetzung identitärer Interessen ausgehebelt.
Frage nach universaler Gerechtigkeit
Wie aber könnte sich ein Universalismus gegen die identitären Strömungen durchsetzen? In einer hoch individualisierten Gesellschaft, in der die eigenen Gefühle eine größere Rolle spielen als die sachliche Frage nach einer universalen Gerechtigkeit, droht das Kant'sche Ideal unterzugehen.
Boehms Hoffnung liegt darin, dass die Menschheit angesichts der weltweiten existenziellen Gefahren schließlich doch noch begreift, dass es gravierender Veränderungen bedarf, um Frieden und Gerechtigkeit zu erlangen.
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Englische Sprachfassung