Zeiträume von Milliarden Jahren entziehen sich unserer Vorstellung. Doch presst man das gesamte kosmische Geschehen in den Zeitraum eines Jahres, wird vieles klarer: Der Kalender des Universums startet in der Silvesternacht kurz nach 0 Uhr mit dem Urknall. Im Laufe des Frühjahrs formt sich unsere Milchstraße. Unsere Sonne und mit ihr die Erde entstehen Anfang September. Der Mensch betritt erst am 31. Dezember die Bühne. Warum dauerte das so lange?
Jahrmilliarden an Sternenleben
Das Leben, wie wir es kennen, ist auf eine Vielzahl an Elementen angewiesen. Natrium zum Beispiel, ein Bestandteil von Kochsalz, müssen wir regelmäßig zuführen. Doch bis Elemente wie diese in die Welt kamen, brauchte es unermesslich viel Zeit.
Die ersten Elemente entstehen im Urknall, am Tag eins auf dem Kalender des Universums: Wasserstoff und Helium. Mehr geben die Bedingungen noch nicht her, denn: Wasserstoffatome haben einen einzigen Kernbaustein, Heliumatome vier. Die Grundstoffe des Lebens aber sind deutlich schwerer, Natrium etwa hat 23 Kernbausteine. Das Problem: Positiv geladene Atomkerne stoßen sich ab. Nur unter extremen Bedingungen, wie sie im Inneren von Sternen herrschen, lassen sie sich zu schwereren Elementen zusammenschweißen: bei extremem Druck und Temperaturen von mehr als drei Millionen Grad.
Die ersten Sterne formen sich bereits 100 Millionen Jahre nach dem Urknall, am 4. Januar auf dem kosmischen Kalender. Doch die neuen Elemente, die sie erbrüten, sind zunächst in den Sternen gefangen. Erst wenn ihr Brennstoff – die leichten Elemente – verbraucht ist, geben die Sterne die neuen Bausteine frei. In einer gigantischen Explosion, einer Supernova, schleudern vor allem große Sterne Materie ins All. So wird das interstellare Medium, das Gas zwischen den Sternen, mit schweren Elementen "geimpft". Doch zunächst verlieren sich die Bausteine in den Weiten des Alls. In unserer Galaxie mussten noch Millionen Sterne entstehen und Elemente erbrüten, bis sich vor über viereinhalb Milliarden Jahren, etwa neun Milliarden Jahre nach dem Urknall, unsere Sonne formte. Erst jetzt war das Universum so weit abgekühlt, dass sich Felsplaneten wie die Erde bilden konnten. Und erst jetzt war die Menge der schweren Elemente, die das Leben braucht, ausreichend.
Hooke eröffnet neue Zeithorizonte
Wie aus diesen Elementen Leben entstehen konnte, darüber rätseln Forscher schon lang. Im Europa des 17. Jahrhunderts zog man oft die Bibel zurate, um Fragen nach dem Ursprung des Lebens zu beantworten. Ihr zufolge hat Gott die Welt und alles Leben vor etwa 6000 Jahren erschaffen – dieser Zeitraum ließ sich aus den biblischen Stammtafeln herauslesen.
Doch obwohl die Naturwissenschaft damals noch in den Kinderschuhen steckte, gelang es einem Mann, den biblischen Zeithorizont zu sprengen. Der englische Universalgelehrte Robert Hooke nutzte als einer der Ersten das knapp 100 Jahre zuvor erfundene Mikroskop dazu, einen genauen Blick auf das Leben zu richten. Sein Studium von Ammoniten – Fossilien einstiger Meerestiere – führte ihn auf die Spur von geologischen Prozessen, die sehr viel länger als die biblischen Zeitskalen gedauert haben mussten. Hooke eröffnete damit Zeiträume, die vorher undenkbar waren.
Rutherford und die geologische Uhr
Erst zu Beginn des letzten Jahrhunderts wurde eine Methode zur genauen Bestimmung geologischer Zeitalter entdeckt. Bei seinen Experimenten mit Radioaktivität konnte der neuseeländische Physiker Ernest Rutherford gemeinsam mit dem Chemiker Frederick Soddy zeigen, dass Uran durch radioaktiven Zerfall nach und nach in andere Elemente übergeht und am Ende zu Blei „zerfällt“. Der Clou: Der Uranzerfall ist wie eine genaue Uhr, die auf einer geologischen Zeitskala tickt. Von den Uran-Atomen im Gestein ist nach viereinhalb Milliarden Jahren genau die Hälfte zu Blei zerfallen.
Mit dieser sogenannten Halbwertszeit bekamen Geologen ein neues Instrument zur Altersbestimmung an die Hand. Denn Uran ist in vielen Gesteinen zumindest in Spuren vorhanden. Vergleicht man die Menge des Urans mit der Menge an Blei in den Gesteinsproben, so lässt sich berechnen, wie viel Zeit vergangen sein muss, bis sich genau dieses Verhältnis eingestellt hat. Daher wissen wir heute, wann ungefähr das Leben entstand. Mikrofossilien aus Hämatitgestein in Nordkanada zeigen Spuren, wie wir sie nur von Bakterien kennen. Die Uran-Blei-Methode verrät: Sie sind zwischen 3,8 und 4,4 Milliarden Jahre alt. Das erste Leben entwickelte sich also erstaunlich schnell – doch bis es Tiere und Pflanzen an Land gab, vergingen noch rund vier Milliarden Jahre.
Die Luft zum Atmen
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Die Zeit der Natur
Das Universum hat Milliarden von Jahren gebraucht, um die Elemente zu erschaffen, auf die das irdische Leben angewiesen ist. Milliarden, bis Galaxien entstanden sind und sich unser Sonnensystem geformt hat, und weitere Milliarden Jahre, bis Sauerstoff in die Welt kam und vielfältiges Leben. Heute versuchen wir, immer mehr in immer kürzere Zeiträume zu pressen. Die Erfindung der modernen Mobilität, die automatisierte Fließbandarbeit und die digitale Revolution haben viele Dinge beschleunigt. Eine Reise nach New York zum Beispiel war vor 100 Jahren nur mit dem Schiff möglich und dauerte über eine Woche. Heute braucht man mit dem Flugzeug acht Stunden.
Doch die Natur hat ihren eigenen Rhythmus, ihre Vorgänge lassen sich nicht in kürzere Zeiträume pressen. Auch wenn wir viel schneller von Kontinent zu Kontinent reisen und digitale Informationen in Sekundenbruchteilen um die ganze Welt schicken: Die Entwicklung eines Kindes im Mutterleib braucht noch immer neun Monate – wie vor Tausenden von Jahren. Und in der Landwirtschaft dauert es von der Saat bis zur Ernte nach wie vor seine Zeit. Mit unserem Fortschritt haben wir viele Dinge beschleunigt, aber nicht den Lauf der Natur.
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