Herbert Wehner war einer der interessantesten, leidenschaftlichsten, fleißigsten und umstrittensten deutschen Nachkriegspolitiker. In seinen 34 Bundestagsjahren war der Zuchtmeister der SPD der Schrecken vieler Präsidenten: Auf seinem Stammplatz vorne rechts gegenüber dem Präsidium machte er ganzen Generationen von Abgeordneten am Rednerpult das Leben schwer. Nicht weniger als 78 Ordnungsrufe für Zwischenrufe wie "Strolch", "Schleimer", "Lümmel" oder "Dreckschleuder" handelte sich der ehemalige Sängerknabe der Dresdner Erlöserkirche ein.
Schillernde Persönlichkeit
Gleichzeitig war Herbert Wehner, der sein Lebenswerk darin sah, die SPD regierungsfähig gemacht zu haben, aber auch der Musterparlamentarier schlechthin. Seine parlamentarische Disziplin war legendär: Morgens kam er meist als erster und hockte nicht selten spätabends als einer der letzten in den SPD-Reihen im Sitzungssaal, stets eine schwarze, abgewetzte Mappe vor sich verstaut.
Schon in frühen Jahren engagierte sich Wehner in der sozialistischen Arbeiterjugend. Von dort kam er 1927 zur Kommunistischen Partei (KPD), in der er rasch eine leitende Funktion einnahm. Als KP-Abgeordner im sächsischen Landtag war er bereits als Redner gefürchtet. Nach illegaler Arbeit ging Wehner 1935 ins Exil, saß in Prag im Gefängnis, wurde nach Moskau abgeschoben und von der Exil-KPD 1941 nach Schweden geschickt. Dort wurde er verhaftet und landete wiederum mehrere Jahre in Haft. In diese Zeit fiel sein Bruch mit dem Kommunismus.
1946 kehrte er nach Deutschland zurück und trat der SPD bei. Er hatte großen Anteil an der Durchsetzung des Godesberger SPD-Programms von 1959 mit der Wandlung von der Klassen- zur Volkspartei. Er selbst übernahm 1966 das Amt des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen, ein politischer Bereich, der Wehner, wie kaum ein anderer am Herzen lag. Später wurde er Fraktionschef der SPD und war sehr mächtig.
Wehner galt dann auch als Motor des Kanzlerwechsels von Brandt zu Schmidt im Zusammenhang mit der Guillaume-Spionageaffäre im Mai 1974. Seine Rolle in dieser Angelegenheit führte zu einer Abkühlung seines Verhältnisses zu Willy Brandt, an dem sich bis zuletzt nichts änderte.
Die Sendereihe "Zur Person"
Dieses historische Interview stammt aus der ZDF-Gesprächsreihe „Zur Person“ mit Günter Gaus, die zwischen 1963 und 1966 ausgestrahlt wurde. Das ZDF macht diese zeitgeschichtlich sehr interessanten Gespräche erstmals in vollem Umfang in der ZDFmediathek zugänglich.
Die Gespräche muss man dabei im Kontext der Zeit sehen: Bestimmte Persönlichkeiten haben in späteren Jahren noch eine besondere Karriere gemacht, wie etwa Willy Brandt oder Franz-Josef Strauß. Die hier gezeigten Gespräche stellen somit ein historisches Zeugnis des Augenblicks dar, in dem das Interview geführt wurde.
Gleiches gilt auch für einige sprachliche Ausdrücke, die zum Zeitpunkt der Interviews noch nicht so in der Diskussion waren wie in späteren Jahren. Das ZDF hat sich dennoch dafür entschieden, die Interviews in der Originalversion und ohne Kommentierung zu veröffentlichen.