Westdeutsche im Osten - für die einen Aufbauhelfer, ohne die die Wiedervereinigung nicht gelungen wäre. Für andere opportunistische "Besserwessis", die ein Zusammenwachsen eher verhindert haben. ZDFinfo schaut auf Fakten, Geschichten und Hintergründe.
Wie viel West kam nach Ost?
Ostdeutschland hat seit dem Mauerfall eine beispiellose Transformation erlebt, bei der westdeutsche Zugezogene bis heute eine bedeutende Rolle spielen. Sie kamen oft als junge Leute in die ehemalige DDR, knüpften Kontakte und stiegen in Führungspositionen auf, aus denen heraus sie den Osten prägten und immer noch prägen. Laut Elitenmonitor sind in Ostdeutschland mehr als 30 Jahre nach der Wende rund drei Viertel der Führungskräfte westdeutsch.
Was steckt dahinter, und was sind die Folgen? Liegt hier eine Ursache für die Distanz zu den Eliten im Osten, für die Ablehnung des demokratischen Systems und den großen Zuspruch für die AfD? Die Wut auf den vermeintlich dominierenden Westen ist jedenfalls groß, wie der verblüffende Erfolg von Dirk Oschmanns Buch "Der Osten: eine westdeutsche Erfindung" zeigt.
Seit mehr als einem Jahr füllt der Wissenschaftler bei seinen Lesungen riesige ostdeutsche Säle, wie auch in Chemnitz im August 2024. Viele können nur noch von draußen lauschen, wie Dirk Oschmann die westdeutschen Eliten für ihre Ignoranz gegenüber ostdeutschen Bedürfnissen kritisiert. Vor der Kamera schildern mehrere Zuschauerinnen und Zuschauer ihre eigenen Gefühle der Zurücksetzung.
Fakt ist: Direkt nach dem Mauerfall wurden Westdeutsche dringend gebraucht - zum Beispiel in der Justiz. Viele DDR-Juristen wurden aussortiert oder hatten eine unzureichende Ausbildung. Iris Goerke-Berzau kam in den 1990er-Jahren aus Westdeutschland nach Sachsen-Anhalt und half beim Aufbau der Justiz. Geblieben ist sie bis heute.
Wurde der Osten abgehängt?
Auch die Wirtschaft in den neuen Bundesländern wird bestimmt von Westdeutschen wie Ludwig Koehne. Als Oxford-Absolvent kam er 1992 in den Osten und arbeitete für die Treuhand in der Abwicklung. Als die Treuhand 1994 aufgelöst wurde, übernahm er das VEB "Schwermaschinenbau S.M. Kirow" in Leipzig und machte es zum Weltmarktführer für Eisenbahnkrane. Er betont, dass ohne westliches Wissen und Kapital die Rettung nicht möglich gewesen wäre.
Mit Angela Merkel oder Joachim Gauck gibt es prominente Ausnahmen - Ostdeutsche, die es geschafft haben. Eine von ihnen ist auch Manja Kliese, 45 Jahre alt, die im Auswärtigen Amt das Krisenreaktionszentrum leitet. Sie weiß: "Viele Ostdeutsche trauen sich gar nicht erst, sich für Laufbahnen wie meine zu bewerben." Auch im Auswärtigen Amt seien Ostdeutsche in leitenden Positionen unterrepräsentiert. "Wir haben ein riesiges Demokratieproblem", so Kliese, "wenn die Menschen im Osten jahrzehntelang fremdbestimmt werden." Die enorme Distanz zu den Eliten und die Zustimmung zu Rechtsextremen erklärt sie sich auch damit. Sie ermutigt aber auch andere Ostdeutsche, sich einzubringen und den Osten besser zu vertreten.
Bei den Landtagswahlen im Herbst 2024 schaut wieder ganz Deutschland auf den Osten - in dem Jahr, in dem sich der Mauerfall zum 35. Mal jährt. Fast die Hälfte der Menschen wählen dort mit der AfD und dem BSW Parteien, die die Kritik gegenüber herrschenden Eliten in den Mittelpunkt stellen. In Brandenburg ist BSW-Spitzenkandidat Alexander Crumbach gemeinsam mit Aushängeschild Sahra Wagenknecht auf der Potsdamer Wahlkampfbühne, wenige Tage vor der Abstimmung. Crumbach ist selbst im Westen geboren und später als Arbeitsrichter nach Brandenburg gekommen.
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