Die Sittenwächter sind nicht weit - mit Zensur und Strafe. In den 1920ern bekommt die Sittenpolizei mehr Aufgaben: Serienmörder, Transvestiten, Pornografie. Die Verfolgung von sogenannten Asozialen ist nur eines der grausamen Kapitel in der NS-Zeit.
Bei Sex und Moral wird hart durchgegriffen
Im Sündenbabel Berlin feiert die Weimarer Republik in den 1920er-Jahren, als gäbe es kein morgen. Jede sexuelle Freizügigkeit scheint möglich. Erste private Erotikfilme kursieren, auch wenn sie teuer und aufwendig herzustellen sind. Auf der anderen Seite laufen Kirche, Konservative und Sittenwächter Sturm gegen Pornografie, Prostitution und Homosexualität. Die Sittenpolizei soll durchgreifen. Die Abteilungen verfolgen zunächst ein praktisches Ziel: die Vermeidung von Geschlechtskrankheiten, ausgelöst durch Prostitution.
Doch große Kriminalfälle sorgen bei den Sittenpolizisten für neue Aufgaben. Ein Serienmörder treibt Mitte der 1920er-Jahre sein Unwesen, tötet 24 Männer beim Geschlechtsakt mit einem Biss in den Kehlkopf. Der Fall Fritz Haarmann führt zu Massenverhaftungen von Homosexuellen. Der Paragraf 175 aus der Kaiserzeit sieht Geld- oder Haftstrafen vor.
In Berlin dagegen pflegt man andere Sitten: Im bekannten Club "Eldorado" leben Transvestiten Anfang der 1930er-Jahre ihre Neigungen offen aus. Mancher Mann darf öffentlich Frauenkleider tragen - Transvestitenscheine machen es möglich. Doch mit dem NS-Regime regiert zunehmende Willkür, das "Eldorado" wird 1933 geschlossen, der Homosexuellen-Paragraf verschärft.
Willkürliche Verfolgung in der NS-Zeit
10.000 bis 15.000 homosexuelle Männer landen in Konzentrationslagern. "Bei homosexuellen Frauen gab es in der NS-Zeit, anders als bei Männern, keine eindeutige Rechtsprechung. Sie fielen durch das Raster, sodass sie genauso wie Transvestitinnen mal so und mal so behandelt wurden", sagt Jens Dobler, Leiter der Polizeihistorischen Sammlung Berlin.
Polizisten können ohne Strafverfahren Prostituierte, "Asoziale", Bettler, Sinti und Roma in KZs einweisen. Der NS-Staat schafft ein Netz an Bordellen. Sogar KZ-Bordelle lässt Reichsführer Himmler einrichten. Doppelmoral und willkürliche Verfolgung werden zum System.
Die Sitte in beiden deutschen Staaten
Nach dem Krieg nehmen die Polizeidienststellen und mit ihnen die Sittenwächter schnell die Arbeit wieder auf. Polizisten aus der NS-Zeit sorgen für Kontinuität. Kirchliche Organisationen wie der Volkswartbund machen zusätzlich Front gegen die Sittenlosigkeit. 1951 wird die Premiere des Films "Die Sünderin" zum Skandal. Acht Sekunden ist Hildegard Knef barbusig zu sehen. Trotz oder wegen zeitweiser Aufführungsverbote bekommt der Film vier Millionen Zuschauer in den ersten drei Monaten.
In der Verfolgung von Sittendelikten gehen die beiden deutschen Staaten zunehmend unterschiedliche Wege. In der jungen DDR wollen SED-Politiker den Paragrafen 175 abschaffen. Durchsetzen können sie sich zunächst nicht. Doch bereits Ende der 1950er-Jahre werden Homosexuelle bei geringfügigen Vergehen kaum noch verfolgt. Der Paragraf 175 wird praktisch außer Kraft gesetzt. In der BRD braucht es dafür weitere zehn Jahre.
In Metropolen wie Hamburg geht die Kriminalpolizei neue Wege. In Fernsehsendungen wie "Der Polizeibericht meldet ..." stellen Beamte Kriminalfälle nach und geben Fahndungen raus. 1959 lösen Medienberichte jedoch beinahe eine Massenhysterie aus. Die "Bestie" Bruno Pupecka missbraucht ein siebenjähriges Mädchen und 19 weitere Frauen. Vor der Davidwache fordert eine aufgebrachte Menschenmenge Lynchjustiz. Pupecka wird verhaftet und zu 15 Jahren Haft verurteilt. Auch wegen Fällen wie diesen reagieren Justiz und Sittenpolizisten bis Ende der 1960er-Jahre mit harten Maßnahmen. Erst die sexuelle Revolution sorgt für Lockerungen und frischen Wind – aber auch für neue Konflikte.
Über Anstand und Moral im 20. Jahrhundert
Deutsche Polizisten überwachen lange Zeit Anstand und Moral. Die Sittenpolizei überlebt viele Regimewechsel und Umbrüche. Eine zweiteilige Dokumentation über die Jagd nach Sittenverbrechern und das Verhältnis von Gesellschaft, Macht und Sex.