Sozialarbeiter, aber auch Kommunen klagen, dass sie die Hilfe für die Anzahl der Menschen kaum noch bewältigen können. Behält die Politik diese Menschen überhaupt noch im Blick? Und was wird unternommen, um die angespannte Situation zu entschärfen?
"Eine Hierarchie der Armut auf der Straße"
Auf dem freien Wohnungsmarkt steigen die Mietpreise, immer mehr Menschen finden keine bezahlbare Wohnung. Was jahrelang vor allem auf die großen Ballungszentren zutraf, erfasst inzwischen auch den ländlichen Raum. Diese Erfahrung machte auch Julia Paul. Die 37-Jährige sucht seit Monaten in der brandenburgischen Provinz verzweifelt eine Wohnung.
Auch wegen der zunehmenden Wohnungsnot landen viele auf der Straße, allein in Berlin leben schätzungsweise 6000 Obdachlose. Sozialarbeiterin Anna-Sofie Gerth von der City-Station in Wilmersdorf erzählt vom Verdrängungswettbewerb um gute Schlafplätze, beim Pfandflaschensammeln oder um ein warmes Mittagessen. "Wir sehen eine Hierarchie der Armut auf der Straße und einen verstärkten Rassismus", sagt die Berliner Sozialarbeiterin. Denn die Verteilungskämpfe führten zu Ressentiments und Anfeindungen gerade gegenüber vielen Einwanderern aus Osteuropa, die sich in Deutschland ein besseres Leben erhoffen, aber häufig keinen Zugang zum legalen Arbeitsmarkt finden.
Corona als Armutstreiber
Tatsächlich aber würden viele Bereiche des öffentlichen Lebens ohne Zuwanderung aus dem Osten gar nicht mehr funktionieren. Dies zeigt eine Klinik in Strausberg, in der unter anderen der rumänische Arzt Florian Man und die Pflegerin Liliia Petrenko aus der Ukraine den Betrieb am Laufen halten. Wie wichtig die ausländischen Kräfte inzwischen für unser Gesundheitssystem sind, erklärt der ärztliche Direktor von Strausberg, Dr. Steffen König.
Für den unteren Rand der Gesellschaft dagegen wird die medizinische Versorgung immer schwieriger. Davon berichtet Gerhard Trabert, Arzt und Professor für Sozialarbeit. Mit seinem Arztmobil, einem fahrbaren Sprechzimmer für wohnungslose Menschen, ist er in Mainz unterwegs und bietet kostenfreie Behandlung an. Er erzählt, wie sehr die Coronakrise die Situation noch verschärft hat.
Gegen Altersarmut: Arbeitsvermittlung für Senioren
Das Coronavirus war auch verantwortlich dafür, dass rund 850 000 Menschen ihre Arbeit als Minijobber verloren haben. Dabei sind es inzwischen nicht nur Studenten und Niedriglöhner, die auf diese Jobs angewiesen sind. Auch immer mehr ältere Menschen müssen sich im Alter etwas hinzuverdienen, um nicht in die Altersarmut abzurutschen. In Offenbach gibt es die deutschlandweit einzige auf Senioren spezialisierte Arbeitsvermittlung. Hier berichten Betroffene, wie hart es ist, wenn die Rente nicht zum Leben reicht, und wie umkämpft auch der Arbeitsmarkt für Ältere ist.
Für die gesellschaftspolitische Einordnung der Situation sorgen die Armutsforscherin Prof. Ina Schildbach aus Regensburg, der Kieler Migrationsforscher Prof. Matthias Lücke und der ehemalige Generalsekretär des Deutschen Caritas-Verbandes, Prof. Georg Cremer.