Immer wieder ist Hiddensee in dieser Jahreszeit von der Außenwelt abgeschnitten. Die rund 1000 Bewohner müssen sehen, wie sie allein zurechtkommen. Jetzt im Winter schafft die raue Natur Herausforderungen und magische Momente.
Wenn die Hiddenseer Wetterstation starken Westwind meldet, freut sich Henry Engels. Dann hofft der Bernsteinfischer auf reiche Beute. Bei vier Grad Celsius Wassertemperatur und stürmischer See sind die Bedingungen ideal. "Ich gehe erst raus, wenn alle anderen drinnen bleiben", erzählt der Insulaner. Mit Watthose steigt er in die Brandung. Hat er Glück, spülen die Wellen Bernsteine in seinen Kescher. Manche sind faustgroß. Die besten Exemplare bearbeitet Henry Engels in der Werkstatt und stellt Schmuckstücke her. Verkauft werden sie im Sommer, wenn die Urlauber in Scharen kommen.
Die Saison 2021 steckt den Hiddenseern sichtlich in den Knochen. Sie haben hart gearbeitet in den Sommermonaten – und gut verdient. Katja Syring, die in vierter Generation das "Haus Hiddensee" betreibt, führt in der Saison das Leben einer öffentlichen Person, im Winter kann sie endlich mal wieder privat sein. "Ich hole jetzt alles nach, wozu ich in sieben Monaten nicht gekommen bin. Am liebsten reite ich quer über die Insel, dann weiß ich wieder, warum ich von hier nie weg will."
Die Versorgung ist eine logistische Herausforderung. Nicht einmal der örtliche Baustoff- und Lebensmittelhändler Michael Bach verfügt über einen Lieferwagen. "Ich bin wahrscheinlich Deutschlands einziger Supermarktbetreiber ohne Auto." Jede Fahrt muss er mit dem Fuhrunternehmen Insellogistik koordinieren. Die haben immerhin zwei elektrische Zugmaschinen. Täglich ordert Bach einen Container Lebensmittel vom Festland. Der kommt mit der ersten Fähre von der größeren Nachbarinsel Rügen. Auf der Rückfahrt nimmt sie den Müll mit. Gleichzeitig organisiert Bach Baustoffe für sämtliche Arbeiten auf der Insel. Denn für Renovierungen ist im Winter Hochsaison. "Wir sind hier so etwas wie Hans Dampf in allen Gassen. Mein Sohn ist der Zimmermann von Hiddensee, meine Frau kämpft als Friseurin gegen die Sturmfrisuren."
Rangerin Lisa Wille machen Wind und Wetter nichts aus. Sie liebt die Natur und auch die raue Seite von Hiddensee. Jetzt im Winter, wo es keine Exkursionen für Besucher gibt, ist sie mit ihrer freiwilligen Helferin Helene viel im Nationalpark "Vorpommersche Boddenlandschaft" unterwegs. Die Welt der Wasservögel haben sie hier genauestens im Blick. Ebenso das Wegenetz, das im Winter runderneuert wird. "Es ist fantastisch, aus meinem Zimmer sehe ich zwei Meere – zum Sonnenaufgang den Bodden und zum Sonnenuntergang die Ostsee", erzählt Helene aus Dresden, die sich nach dem Abi für ein Jahr auf der Insel verpflichtet hat – ihr erster Winter auf der Insel.
Wie jeden Morgen nimmt der diensthabende Meteorologe seine Kamera, das Stativ und die Tonangel, packt alles auf einen Handwagen und zieht damit vor eine berühmte Kulisse. Unterhalb des Leuchtturms baut er alles auf, um seine Wetternachrichten zu verkünden. Dann wissen die Hiddenseer, ob sie mit der nächsten Lebensmittellieferung rechnen können oder auf ihre Vorratskammer zurückgreifen müssen.
Die "ZDF.reportage" erzählt vom Überwintern auf Hiddensee, einer Insel, die die meisten Deutschen nur im Sommer kennen.