Mehr als 9 Millionen Menschen in Deutschland identifizieren sich nach aktuellen Schätzungen als "queer" – also als nicht-heterosexuell, trans- oder intergeschlechtlich. Viele zieht es in größere Städte, andere entdecken das Landleben für sich.
Kleiner CSD
Christian Arnold Krüger veranstaltet mit seinem Verein Queerstrelitz e.V. bereits seit sechs Jahren einen Christopher Street Day in der Mecklenburgischen Seenplatte. Für Krüger und sein Team eine organisatorische Herausforderung. Mit weniger als 1000 Teilnehmenden ist der CSD zwar eher eine kleine Veranstaltung, Gegenwind gibt es trotzdem. Schon in den Tagen vor der Parade machen Gegner in sozialen Netzwerken mobil.
Krüger hat es nach dem Abitur nach Berlin gezogen, denn schwule Vorbilder gab es in seiner Heimatstadt Neustrelitz damals nicht. Jetzt, 20 Jahre später, kehrt er mit seinem Partner zurück in seine Heimat. Angst hat er keine, aber "ein mulmiges Gefühl". Mit dem Christopher Street Day möchte er Sichtbarkeit schaffen und mit den Menschen ins Gespräch kommen, die zum Teil gar nicht wissen, was Queersein bedeutet.
Auch GiGi, 34, kehrt nach 15 Jahren nach Neustrelitz zurück, um für Toleranz und Vielfalt zu werben. GiGi ist früher in der beschaulichen Kleinstadt oft angeeckt, denn GiGi ist lesbisch und nonbinär. GiGi mag sich selbst nicht als männlich oder weiblich einordnen, sondern sieht sich irgendwo dazwischen. Als Teenager war das in Neustrelitz ein Problem, "es gab keine Aufklärung, keinen CSD, und das Wort queer kannte ich nicht". Mit Musik und Veranstaltungen möchte GiGi die 20.000-Einwohner-Stadt bunter und diverser machen. Ob Neustrelitz wirklich bereit dafür ist, weiß GiGi nicht.
Homosexualität auf dem Land
Thomas Weckerle und Henning Ripke haben derartige Ablehnung nicht erfahren. In Poitzen in der Südheide leben und arbeiten die beiden Schafzüchter zusammen, wollen in diesem Jahr heiraten. Lange fiel es Thomas schwer einen festen Partner zu finden. Er lernte zwar Männer kennen, die aber oft "mit dem Schwulsein Probleme hatten und nicht aus sich rausgekommen sind". Erst mit Henning ändert sich das.
Den Hof hat das Paar von Hennings Eltern übernommen. Alles andere als eine Selbstverständlichkeit, auch Hennings Eltern hatten zunächst an der Homosexualität ihres Sohnes zu knabbern. Ihre Angst damals: Wer übernimmt später mal den Hof, wenn es keine Enkel gibt?
Als Transfrau auf dem Weingut
Simona Maier aus Mühlhausen im Kraichgau führt als Winzerin eine Familientradition fort. Wie schon ihr Vater produziert die 33-Jährige ihren eigenen Wein. Mit männlichen Geschlechtsmerkmalen geboren, weiß die Winzerin schon in der Jugend, dass sie anders ist als andere. Denn sie fühlt sich nicht als Junge. In der Schule wird sie gemobbt, wagt es lange Zeit nicht, sich zu outen. Erst mit 26 traut sie sich und outet sich als Transfrau. Mittlerweile hat sie ihre Transition abgeschlossen. In der konservativen Weinbranche begegnet man ihr mit Skepsis.
Durch harte Arbeit und gute Weine schafft sie es, die Kollegen zu überzeugen. Ablehnung trifft sie nicht mehr so hart wie früher, denn sie hat sich ein dickes Fell zugelegt. Ein Leben in der Stadt ist für sie undenkbar. Zu ihrem Glück fehlt nur noch die berufliche Akzeptanz und eine Partnerin oder ein Partner.
Die "ZDF.reportage Queer auf dem Land" begleitet fünf junge Menschen, die sich selbst als queer bezeichnen und das beschauliche Landleben der Enge in der Großstadt vorziehen. Was ist dort anders als in der Stadt? Welche Vorbehalte begegnen ihnen? Wie sehr fallen sie noch auf? Der Film zeigt Lebensmodelle, die von der Norm abweichen und stellt Menschen vor, die aller Widerstände zum Trotz ihren Weg gehen.