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Armes reiches Deutschland: Wenn Selbstständigkeit zum Albtraum wird

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Die rund zwei Millionen Soloselbstständigen in Deutschland bekommen die Auswirkungen der Rezession und der Energiekrise ganz unmittelbar zu spüren und müssen sie allein tragen.

Videolänge:
29 min
Datum:
08.12.2022
:
UT
Verfügbarkeit:
Video verfügbar bis 02.12.2027

Die Stimmung in diesem Herbst, sie ist so schlecht wie seit Jahren nicht mehr. Denn nicht nur die steigenden Kosten für Rohstoffe und Energie bereiten ihnen Sorge, viele wissen nicht mehr, ob und wie lange noch genug Kunden kommen, um die laufenden Kosten zu decken.

Endlich auf eigenen Füßen stehen, die eigenen Ideen umsetzen, das war für Zuhra Visnjic immer das große Ziel. Mit damals 44 hat sich die Remscheiderin diesen Traum erfüllt und ihren Friseurmeister gemacht. Seit acht Jahren steht die dreifache Mutter zusammen mit ihren Aushilfen im Zukis Style. Frisuren stylen, kreativ Menschen verschönern, das war schon immer ihr Ding. Heute weiß die 52-Jährige nicht mal mehr, ob sie im nächsten Monat ihre Krankenversicherung bezahlen kann: "Wenn ich nichts verdiene, kann ich die nicht zahlen." Seitdem es täglich Berichte über Preiserhöhungen und Sparmaßnahmen gibt, gehen die Kundenzahlen stark zurück. Vor allem am Monatsende gibt es viele freie Spalten im Terminbuch der Friseurin. "Die Leute sparen meistens am Friseur, viele buchen nur noch Trockenhaarschnitte, oder ich stehe hier ganz allein und warte." Viel Puffer hat Zuhra Visnjic nicht, ihre Ersparnisse hat sie alle in den Laden investiert. Jetzt drückt neben hohen Energiekosten auch noch die Rückzahlung der Coronahilfen. Die Angst vor der Verschuldung ist bei der Soloselbstständigen groß.

Eigentlich hatte sich Julia Krumm den Weg in die Selbstständigkeit einfacher vorgestellt. Vor fünf Jahren kündigte sie ihren sicheren Job als Beamtin bei der Bundeswehr und eröffnete ihren eigenen Laden. Mittlerweile bietet die studierte BWLerin Tattoos und Piercings auf 220 Quadratmetern Fläche an. Steigende Kosten überall, dazu die Kranken- und Sozialversicherungen und nicht zuletzt die Verantwortung für ihre zwei fest angestellten Mitarbeiterinnen lassen Julia gerade schlecht schlafen. Seit Januar sind die Farben dreimal so teuer, der 100er-Pack Desinfektionshandschuhe kostet 15 Euro statt vorher fünf Euro. "Die Konsequenz? Wir setzen uns nächste Woche zusammen und erhöhen die Preise um die zehn Prozent. Mehr gehen die Leute nicht mit!" Schon jetzt merkt sie, dass sich das Einkaufsverhalten der Leute auch in ihrer Stadt verändert hat. "Tattoos sind nicht überlebenswichtig, ein Luxusgut, das man nicht unbedingt zum Leben braucht. Wenn die Preise noch weiter steigen, muss ich schließen, das macht kein Kunde mehr mit!"

Auch das Geschäft des vierfachen Vaters Thomas Rose aus Essen läuft extrem schlecht. Seine Betriebskosten und Einkaufspreise haben sich im letzten Jahr verdoppelt, auch die Miete für Wohnung und Laden hat sich erhöht, um monatlich 100 Euro. Gleichzeitig sind die Umsätze dramatisch rückläufig in seinem Kiosk mit Blumenladen. Teilweise verdient Thomas nur noch die Hälfte von dem, was er früher am Tagesende in der Kasse hatte. "Das Geld sitzt nicht mehr so locker: Das fängt bei der Süßigkeiten-Tüte an und endet beim Blumenstrauß für die Frau am Freitagnachmittag." Viele Sorgen für Thomas, der mit dem Shop auch seine vier Kinder ernähren muss.

Besorgt sind vor allem Unternehmer in strukturschwachen Regionen, wo die Leute eh schon weniger zum Leben haben. Nora Seitz aus Chemnitz hat Existenznot. Die Traditionsmetzgerei der Familie ist die letzte von einst einem Dutzend im Viertel. Und seit einem halben Jahr spürt die Fleischermeisterin, dass auch bei ihr die Kundschaft wegbleibt. Und wer überhaupt noch kommt, der kauft weniger. "Es gibt zwei Extreme bei den Kunden: Die einen, die abwarten, bis die nächste Stromrechnung kommt, und die anderen, die kaufen direkt die Billigwurst vom ALDI oder gar keine Wurst mehr. Weil sie einfach auch kein Geld mehr haben." Auch die Nachfrage nach dem Mittagstisch sinkt. "Meiner Mutter, der sieht man die Angst richtig an", erzählt Nora, "und ich habe schlaflose Nächte." Wie lange sie hier in der Metzgerei noch durchhalten, weiß niemand: "Wenn es so weitergeht, ist bald das Licht aus! Meine Mutter hat schon jetzt schlaflose Nächte, und das dicke Ende kommt ja erst noch!"

Eine "ZDF.reportage" über die Angst vieler Kleinunternehmer um ihre Existenz.

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