Was die Welt am Laufen hält
Was die Welt am Laufen hält
Dokureihe mit Harald Lesch
Technologien zur Energie, Kommunikation und Mobilität stehen heute an einem Wendepunkt. Welche Ideen haben das Dasein des Menschen in diesen drei Bereichen am stärksten geprägt?
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Prof. Harald Lesch im Gespräch über Energie, Kommunikation und Mobilität
Was ist das eigentlich, Energie?
Das Wort ist erst seit dem 19. Jahrhundert gebräuchlich und stammt ursprünglich von dem griechischen Energeia. Das heißt so viel wie "wirkende Kraft". Energie tritt in verschiedenen Formen auf. Zum Beispiel in einem Stahlwerk, wo bei Temperaturen mehr als 2000 Grad Celsius Eisenerz geschmolzen wird. Ein Beispiel unter vielen, die für den ungeheuren Energiehunger der modernen Zeit stehen. Wir brauchen Energie für unsere Maschinen, für unsere Fahrzeuge, für Licht, für Wärme, für die Produktion sämtlicher Konsumgüter. Den Weg geebnet dazu hat eine Entdeckung, die die Menschheit vor mehr als einer Million Jahren gemacht hat: nämlich, dass man Feuer nutzen kann.
Was ist die sogenannte Graue Energie?
Als Graue Energie wird die Summe der Energie bezeichnet, die für die Herstellung von Produkten aufgebracht werden muss. Das ist den meisten gar nicht bewusst, weil man sie nicht sieht. Beispiel Glas: Es wird bei hohen Temperaturen aus Quarzsand geschmolzen. Auch Kunststoffe gibt es ohne den Einsatz von Feuer und damit von Energie nicht. Aluminium toppt wirklich alles, denn bei seiner Herstellung muss 25 mal mehr Energie aufgewandt werden als zum Beispiel bei der Herstellung von Glas. Selbst im Garten lauern Produkte, die bereits vor ihrer Nutzung enorme Mengen an Energie verschlungen haben: Allein ein bis drei Prozent der weltweiten Energieproduktion gehen in die Herstellung von Kunstdünger! Das heißt: Wir leben in einer High-Fire-World.
Kernfusion gilt als die Energie der Zukunft. Ist sie die Lösung der emissionsfreien Energieversorgung?
Seit mehr als vier Milliarden Jahren macht uns die Sonne vor, wie Kernfusion funktioniert: In ihrem Inneren verschmelzen pro Sekunde Millionen Tonnen Wasserstoff zu Millionen Tonnen Helium. Dabei wird eine enorme Menge an Energie freigesetzt, die in Form von Licht und Wärme auf der Erde ankommen. Um aber Kernfusion auf der Erde auszulösen, muss man noch höhere Temperaturen als auf der Sonne erzeugen, nämlich über 100 Millionen Grad Celsius. Wissenschaftlern gelingt das zurzeit weltweit nur für wenige Sekunden. Ziel ist aber 24 Stunden und sieben Tage die Woche, denn nur dann kann man einen stabilen Kraftwerksbetrieb gewährleisten, der kontinuierlich Strom erzeugt. Fusionskraftwerke könnten theoretisch unendlich viel Energie produzieren. Und da kein Kohlenstoff im Spiel ist, entsteht auch kein CO2. Da aber auch in Fusionskraftwerken nur Wasser heiß gemacht wird, um damit per Turbine Strom herzustellen, sind Fusionskraftwerke thermische Kraftwerke mit hohen Wärmeverlusten. Klingt also zunächst wie eine gute Lösung, ist aber nicht wirklich gut, denn solche Kraftwerke weltweit würden zur Erwärmung beitragen. Außerdem: Wann es Fusionskraftwerke gibt, steht im wahrsten Sinne des Wortes, noch in den Sternen.
Was versteht man unter Kommunikation?
Rein technisch gesehen ist Kommunikation nichts anderes als der Austausch von Informationen zwischen einem Sender und einem oder mehreren Empfängern. Gemeint ist aber die Verständigung untereinander. Seit es Menschen gibt, ist Kommunikation die Basis des Zusammenlebens. Sie kann das Überleben retten oder Kriege verhindern, es gibt viele Beispiele. Mithilfe von Sprache kann man Gedanken, Ideen oder Gefühle austauschen. Oder man verständigt sich mithilfe von Zeichen – also ohne Worte, dafür aber mit Gesten und Mimik. Kommunikation ist aber nicht nur eine menschliche Fähigkeit, auch viele Tiere verfügen über komplexe Kommunikationssysteme: Neben optischen Signalen verständigen sie sich mit Lauten und Duftstoffen. Aber kein anderes Lebewesen hat die Kommunikation so sehr perfektioniert, wie wir Menschen – denn wir können sprechen.
Jugendliche telefonieren immer weniger. Was ist da los?
Studien bei Jugendlichen zeigen tatsächlich sehr deutlich, dass sie immer weniger telefonieren. Stattdessen verschicken sie zum Beispiel Sprachnachrichten. Das heißt, im Grunde genommen führen sie so eine Art entzerrtes Telefonat. Man sendet etwas los und hat dann wieder Zeit, entsprechend auf die Antwort zu warten und nach eigenem Ermessen zu reagieren. Das sind so kleine, man könnte vielleicht sagen, Notwehrgesten in Zeiten des permanenten Bombardements mit Informationen und Gefühlswelten.
Die digitale Welt der Kommunikation – was macht das mit uns Menschen?
Das weltumspannende Kommunikationsnetz hat enorme Auswirkungen auf uns. Über die psychische Dimension sind wir uns noch gar nicht richtig bewusst. Früher war die Alltagswelt der Menschen eine kleine Insel der Gleichzeitigkeit, umgeben von einem großen Reich an Vergangenheit, denn alle Nachrichten, die aus großen Entfernungen kamen, die waren zwangsläufig alt – Tage, Wochen, Jahre sogar. Durch die globale Telekommunikation ist die ganze Erde ein Ort der Gleichzeitigkeit geworden. Das heißt eine Flut von Ereignissen, auch aus entfernten Regionen der Erde, drängt an den einzelnen emotional heran. Das kann eine Überforderung sein, daher: Wir müssen lernen, mit der täglichen Überdosis an Weltgeschehen umzugehen.
Wieviel Kommunikation braucht der Mensch?
Ich würde eher fragen: Wie viele Kommunikationsmittel braucht der Mensch? Und da gibt es eine gute Nachricht: Wir entscheiden selbst, wie viel Technik wir in unser Leben lassen, wann wir auf die Stopptaste drücken und sagen: Ich bin jetzt nicht mehr erreichbar. Ich bin jetzt nicht perfekt informiert, ich muss mich jetzt nicht darstellen, ich bin einfach nur ich, ein unvollkommener Mensch in einer nicht-digitalen Welt. Diese Freiheit haben wir. Und diese Freiheit, die sollten wir uns auch ab und zu mal nehmen.
Was bedeutet es für uns, mobil zu sein?
Mobilität ist Freiheit. Das weiß jeder, der sich ins Auto setzt, um sich auf eine Reise zu machen. Es zieht uns einfach immer weiter. Die Geschichte der Mobilität erzählt von unstillbarer Neugierde, Abenteuerlust, Mut, Ideen, Innovationen. Die Distanzen schrumpfen, das Tempo nimmt zu, die Freiheit wächst. Aber unsere Mobilität hat ihren Preis. Unser Wunsch nach Mobilität verändert die Welt unwiederbringlich. Aber das nicht nur zum Guten.
Welche Revolution in der Geschichte der Mobilität hat nach der Erfindung des Rades unser Leben umwälzend verändert?
Im 19. Jahrhundert ändert sich mehr an der menschlichen Mobilität als in 5000 Jahren zuvor. Tempo und die Individualität werden durch neue Fahrzeuge revolutioniert. Es ist die Dampfeisenbahn, die die Geschwindigkeit enorm steigert, etwas, das man bis dahin für völlig unmöglich gehalten hat.
Liegt der Rausch der Geschwindigkeit in der Natur des Menschen?
Wir sind alle Geschwindigkeitsjunkies, zumindest was unsere biologische Grundausstattung betrifft. Bei hohem Tempo sorgt ein Hormongemisch aus Adrenalin und Endorphin für einen Rausch. Also kein Wunder, dass Tempo und Mobilität als Fortschritt und Ruhen und Verharren als Rückschritt angesehen werden.
Was ist Ihre ganz persönliche Lieblingsform der Fortbewegung?
Ich halte es mit dem Dichter Johann Gottfried Seume, der 1802 zu Fuß von Grimma bei Leipzig bis nach Syrakus auf Sizilien spazierte. Er sagte: "Alles würde besser gehen, wenn man mehr ginge."
Die Fragen stellten Claudia Moroni und Michael Petsch, Redaktion "Terra X".