Die Grenzgänger

Marcus Roth, Professor für differentielle Psychologie an der Universität Duisburg-Essen, über Unterschiede beim Phänomen Sensation Seeking.

Sensation Seeking bei Männern und Frauen

Marcus Roth, Professor für differentielle Psychologie an der Universität Duisburg-Essen, über verschiedene Arten des Sensation Seeking.

Arten des Sensation Seeking

Mehr zu Sebastian Staudtner und dem portugiesischen Surfer Hot-Spot ...

Jedes Jahr im Herbst, wenn die Stürme den Atlantik aufpeitschen, wird der kleine portugiesische Ort Nazaré zum Anziehungspunkt für Surfer. Dort gibt es die höchsten Wellen der Welt. Über 20 Meter werden sie hoch, und es gibt nur eine Handvoll Menschen, die sie reiten können. Einer von ihnen ist ein Deutscher. Sebastian Steudtner ist Big Wave Surfer – der einzige Deutsche, der es in die Weltspitze dieser ungewöhnlichen Sportart geschafft hat. Zwei Mal hat er schon den so genannten Surf-Oscar für den Ritt auf der höchsten Welle des Jahres gewonnen, und er wird nicht müde, nach weiteren, höheren Wellen zu suchen.

In Nazaré könnte er fündig werden. Dort sorgt eine geologische Besonderheit für die haushohen Wellen. Ein Unterwasser-Canyon vor der Küste ist verantwortlich dafür. In der Einbuchtung tief unten am Meeresgrund drücken sich die Wassermassen zusammen und entladen sich vor der Küste. Wann sich die Wasserwände auftürmen, weiß man nie so genau. Es hängt von vielen Faktoren ab, ob die hohen Wellen auch an der Küste ankommen. Sebastian Steudtner muss bereit sein – immer! Schon die nächste Welle könnte alle bisherigen in ihren Schatten stellen. „Die perfekte Welle gibt es nicht“, sagt der Super-Surfer und rüstet sich für den Showdown mit den Naturgewalten. Wenn ein Sturm auf dem Atlantik braust und in Richtung portugiesische Küste zieht, ist Sebastian Steudtner in Alarmbereitschaft. Er hat ein ganzes Team um sich, das sich um die Vorbereitungen für die großen Wellentage kümmert. Die sind selten, in den Wintermonaten vielleicht ein bis zweimal im Monat.

Und Steudtner weiß nie, ob ihm die Natur nicht doch noch einen Strich durch die Rechnung macht. Bereit sein ist alles! Am 11. Dezember 2014 war er schon einmal bereit. An diesem Tag wurde das portugiesische Dorf geradezu von Monsterwellen überrollt. Eine nach der anderen bäumte sich auf, und Sebastian Steudtner war mittendrin in der Wellenarena. „Ein Monstrum von einer Welle“ erwischte er damals – über 20 Meter hoch, kräftiger als alles, was er bis dahin gesurft hat. Mit rund 70 Kilometern pro Stunde raste er an diesem Tag auf dem Surfbrett den Wasserberg hinab. Es war die größte Welle der Saison.

Doch Sebastian Steudtner wird nicht müde, nach noch höheren Wellen zu suchen. Das Meer übt seit jeher eine große Faszination auf ihn aus. Schon als Kind entwickelt er seine große Leidenschaft zum Wasser. Mit neun Jahren stand er zum ersten Mal auf einem Surfbrett, mit 13 Jahren entschloss er sich, nach Hawaii zu gehen, und mit 16 ließen ihn seine Eltern ziehen. Auf Hawaii lernte er von seiner Gastfamilie das Big Wave Surfen und will seither nur eines: eins werden mit der Welle.

Dafür trainiert er jeden Tag. Surfen ist eine Sportart, die alle Aspekte der körperlichen Fitness beanspruchen. Was auf den Wellen so spielerisch aussieht, ist das Ergebnis harter, körperlicher Arbeit. Aber das ist nur ein Rezept, um den Monsterbrechern Stand zu halten. Man muss seine Instinkte schärfen, die Urgewalt Wasser lesen lernen und wissen, was im Ernstfall wichtig ist. Wenn Sebastian Steudtner von einer Welle erfasst und unter Wasser gedrückt wird, kann er wie ein Apnoe-Taucher minutenlang die Luft anhalten und den Atemreiz unterdrücken. So übersteht er so genannte Wipe-Outs unbeschadet. Unfälle halten den Big Wave Surfer aber nicht von seinem Ziel ab, noch höhere Wellen zu surfen. Die Faszination Meer ist und bleibt ungebrochen. Deshalb ist er auch da, wenn sich Ende Oktober 2015 vor Nazaré die Wellenberge zum ersten Mal in der Saison auftürmen und die Tür zu einer neuen Dimension öffnen.

Mehr zu den Geheimrezepten der Bergbewohner ...

Auf der Mittelmeerinsel Sardinien geht Rätselhaftes vor. Dort werden die Menschen älter als im Rest Europas. Es scheint fast so, als würden die Sarden das Geheimnis des langen Lebens kennen. Sie sind Supertalente der ganz besonderen Art.

Der Wissenschaftler Dr. Gianni Pes von der Universität Sassari kam vor 20 Jahren in die Bergregion und konnte fast nicht glauben, was er dort sah. Ausgerechnet auf dem Friedhof des Dorfes Villagrande fand er die ersten Hinweise: 35 Gräber von Bewohnern, die die magische 100 erreicht haben.

Sardinien gehört damit zu einer so genannten Blue Zone. Das sind Gebiete, in denen die Lebenserwartung exorbitant hoch ist. Dazu zählen auch die Insel Okinawa in Japan, die Region Nicoya in Costa Rica und die griechische Insel Ikaria. Sardinien ist allerdings um eine Attraktion reicher: Dort werden Männer genauso alt wie Frauen. Und sie bleiben bis ins hohe Alter gesund.

Michelino Scudo aus Villagrande ist 97 Jahre alt und überrascht den Wissenschaftler Gianni Pes immer wieder. Seine Muskelmasse ist völlig intakt, und seine Blutwerte sind vergleichbar mit einem 50-Jährigen. Biologisch ist Michelino nur halb so alt als in seinem Pass steht.

Sind es vielleicht gute Gene, die Michelino so alt werden lassen? Wissenschaftler versuchen seit vielen Jahren herauszufinden, warum manche Menschen ein so hohes Alter erreichen können. Und sie wurden auch fündig. Ein Team von der Christian-Albrechts-Universität Kiel hat eine Ursache für ein langes Leben gefunden. Sie fanden sie in den Genen von vielen 100-Jährigen. Der so genannte Transkriptionsfaktor FOXO 3A. Transkriptionsfaktoren spielen eine zentrale Rolle bei der Regulation von Genen. FOXO 3A ist zuständig für den genetisch programmierten Zelltod. Allerdings können Enzyme diese Transkriptionsfaktoren außer Funktion setzen. Die Zellen können sich damit wieder regenerieren. Der Alterungsprozess wird so gebremst. Forscher von der Universität Freiburg konnten jene Enzyme schon so manipulieren, dass sie das Leben eines Fadenwurmes verdoppeln konnten.

Die Gene spielen beim Alterungsprozess aber nur eine untergeordnete Rolle, im Schnitt bis zu 30 Prozent. Gianni Pes ist der Überzeugung, dass andere Faktoren weitaus wichtiger sind, um so alt und rüstig zu werden wie beispielsweise Michelino Scudo. Bewegung ist dabei nur ein Geheimnis. Michelino geht fast täglich ins Fitnessstudio seines Heimatortes, um sich fit zu halten. Das braucht Schäfer Ciccio Messino nicht. Er hält sich mit seinen Ziegen körperlich fit. Jeden Tag treibt er sie raus in die karge Berglandschaft, in der der 81-jährige Schäfer schon sein ganzes Leben zubringt. Deshalb ist er auch noch so agil, ist sich Gianni Pes sicher. Aber es ist nicht nur die Bewegung und die tägliche Aufgabe, die Ciccio jung hält. In den Bergen ist das Klima rauer, die Temperaturen sind niedriger als im Rest von Sardinien. Gianni Pes vermutet, dass sich das positiv auf den Fettstoffwechsel auswirkt. Der Körper holt sich für die Wärmeerzeugung auch Energie aus den Fettreserven. Dadurch bleibt Ciccio vermutlich so schlank. Und wer dünner ist, lebt länger, sagt Pes.

Zur schlanken Linie trägt aber auch die traditionelle Küche der Bergbewohner bei. Ciccio macht heute noch Käse nach traditioneller Art aus der Milch seiner Ziegen. Die darin enthaltenen Elemente festigen die Knochen, sie halten geistig fit, und die Ziegenmilch reduziert die Blutfette. Die Frauen aus Baunei backen das Brot dazu. Nicht irgendein Brot. Es nennt sich Pistokku und lässt den Zuckerspiegel nach dem Verzehr um ein Viertel weniger ansteigen als herkömmliches Brot. Zudem essen die Sarden viel Obst und Gemüse, das sie aus ihren eigenen Gärten ernten. Die sekundären Pflanzenstoffe der naturbelassenen Lebensmittel schützen die Zellen und halten die Sarden gesund. Und sie schwören auf ihren Wein. Cannonau nennt er sich, und viele Familien haben ihren eigenen kleinen Weinberg, auf dem sie die Traube anbauen. Rotwein enthält Polyphenole, die sich positiv auf das Herz-Kreislauf-System auswirken können. Viel hilft aber nicht viel. Ein kleines Gläschen am Tag trinken die Sarden höchstens.

Die Ernährung, regelmäßige moderate Bewegung, ein kühleres Klima und eine wichtige Aufgabe zu haben, sind aber nur einige Zutaten für ein langes Leben. Gianni Pes ist überzeugt davon, dass die Familienbeziehungen die Hauptrolle beim Altern spielt. Wer sich aufgehoben fühlt und sich bis ins hohe Alter auf gefestigte Strukturen verlassen kann, wird sehr alt. Die Sarden in den Bergen machen das vor. Dort besteht die Familie nicht nur aus den Eltern und zwei Kindern. Zur Kernfamilie gehören auch Cousinen, Tanten und Onkeln. Sie pflegen die alte Tradition der Großfamilie und werden deshalb älter als im Rest von Europa.

Holm Schneider von der Universität Erlangen erklärt die genetische Ursache des Biba Struja-Phänomens.

Genetische Ursache des Struja-Phänomens

Interview zum Phänomen Biba Struja mit Prof. Dr. Holm Schneider, Leiter des Kompetenzzentrums für ektodermale Dysplasien, Universitätsklinikum Erlangen

Biba Struja ist offenbar immun gegen Strom. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?
Seine extrem trockene Haut schützt ihn wie ein Isolatormantel. Elektrischer Strom braucht, um in den Körper zu gelangen, einen Leiter – normalerweise in Wasser gelöste Salzionen. Die findet er auf Biba Strujas Haut nicht. Deshalb ist der Hautwiderstand so hoch, dass Haushaltsstrom selbst bei einer Spannung von 400 Volt ihn nicht überwindet. Grund dafür ist das Fehlen von Schweißdrüsen. Das ist auf einen Gendefekt zurückzuführen, der ein sehr seltenes Krankheitsbild, die anhidrotische ektodermale Dysplasie, hervorruft.

Ektodermale Dysplasie ist ein angeborener Gendefekt. Welches Gen ist dafür verantwortlich?
Am häufigsten wird ektodermale Dysplasie durch Veränderungen in einem Gen namens EDA verursacht, das auf dem X-Chromosom sitzt. Betroffene Frauen, die außer dem veränderten noch ein normales X-Chromosom haben, können das teilweise ausgleichen, Männer nicht. Die Genveränderungen bewirken, dass sich neben Haaren und Zähnen auch die Schweißdrüsen nicht richtig ausbilden: Viele betroffene Männer besitzen überhaupt keine und können folglich nirgendwo am Körper schwitzen.

Welche Formen von ektodermaler Dysplasie gibt es?
Es gibt mindestens 160 verschiedene Krankheitsbilder, die unter dem Begriff ektodermale Dysplasie zusammengefasst werden. Die X-chromosomale Form, die bei Biba Struja vorliegt, ist die häufigste.

Wie äußert sich ektodermale Dysplasie?
Ektodermale Dysplasie zeigt sich durch angeborene Fehlbildungen von Haut, Haaren, Nägeln, Zähnen und Sinnesorganen. Die meisten Betroffenen haben zum Beispiel nur sehr wenig und merkwürdig spitze Zähne, ihre Haare sind dünn und wachsen kaum. Schlimmer aber ist, dass viele nicht schwitzen können, weil in der Haut die Schweißdrüsen fehlen. Und wer nicht schwitzen kann, weder bei Hitze noch bei Anstrengung, der bekommt leicht Fieber oder sogar einen Hitzschlag.

Wie viele Menschen tragen diesen Gendefekt in sich?
Vier bis sieben von 100.000 – überall auf der Welt.

Was bedeutet der Gendefekt für die Betroffenen?
Zum einen sehen sie anders aus als die meisten. Die spitzen Zähne, das blasse Gesicht mit den dunklen Augenringen lassen an einen Vampir denken. Und dann fallen sie auch noch dadurch auf, dass sie der Sonne aus dem Weg gehen und sich im Sommer an kühle Orte zurückziehen, weil sie sonst Fieber bekämen. Das hat selbst in unserer aufgeklärten Gesellschaft so manchen Tratsch genährt. Deshalb gibt es das Kinderbuch „Warum Vampire nicht gern rennen“, das anhand einer spannenden Geschichte diese genetische Besonderheit schon Kindern im Grundschulalter sehr anschaulich erklärt.
So ein Gendefekt bringt zuweilen auch Vorteile mit sich, wie wir an Biba Struja sehen. Wer nicht schwitzen kann, der ist nicht nur bei Elektroarbeiten weniger gefährdet, sondern zum Beispiel auch für den Beruf des Uhrmachers bestens geeignet, weil er immer trockene Finger hat. Trotzdem bleibt es eine Krankheit, die den Betroffenen manchmal schwer zu schaffen macht.

Wie können Sie diesen Menschen helfen? Inwieweit ist ektodermale Dysplasie therapierbar?
Ektodermale Dysplasie ist bisher nicht heilbar, aber die einzelnen Krankheitserscheinungen können behandelt werden. Fehlende Zähne lassen sich durch Prothesen oder Implantate ersetzen, fehlende Haare durch eine Perücke. Die Probleme der trockenen Haut und der trockenen Augen sind durch Pflege- bzw. Tränenersatzmittel in den Griff zu bekommen. Einer Überhitzung im Sommer kann vorgebeugt werden. Fieber lässt sich durch Kühlmaßnahmen in der Regel rasch senken, deshalb sollten Betroffene ständig Zugang zu kaltem Wasser haben.
Am wichtigsten jedoch ist die Früherkennung der häufigsten Form dieser Erbkrankheit, um lebensgefährliche Überhitzungen im Säuglingsalter zu vermeiden.

Kann diese Krankheit auch im Laufe des Lebens auftreten?
Nein, sie ist immer angeboren und genetisch bedingt – eine klassische Erbkrankheit.

Wohin können sich Menschen mit dieser Erbkrankheit wenden?
Es gibt eine sehr gut organisierte Selbsthilfegruppe der deutschsprachigen Länder, die raschen telefonischen Rat anbietet und auf ihrer Homepage (www.ektodermale-dysplasie.de) auch die Kontaktdaten der medizinischen Experten aufgeführt hat.

Supertalent Mensch, zweite Staffel
Erstausstrahlung ZDF

Folge 1: Die Grenzgänger (Sonntag, 27. Dezember 2015, 19.30 Uhr)
Folge 2: Die Superhirne (Sonntag, 3. Januar 2016, 19.30 Uhr)

Film von Birgit Tanner

Redaktion TV Friederike Haedecke
Redaktion Online Michael Büsselberg

Erste Staffel (2014)
Folge 1: Die Körperbeherrscher
Folge 2: Die Geistesgiganten