Geheimnisse aus der Tiefe

Florian Huber ist Unterwasserarchäologe und Forschungstaucher zugleich und viele Monate im Jahr im In- und Ausland unterwegs. Seit zwei Jahren reist er für Terra X zu unterschiedlichen Hotspots und präsentiert neueste Forschungsergebnisse aus der Unterwasserwelt.

Bildquelle: ZDF/Uli Kunz

Sie arbeiten seit rund 20 Jahren als Unterwasserarchäologe und waren bei vielen Entdeckungen dabei. Was unterscheidet einen Unterwasserarchäologen von einem Schatztaucher?
Schatztaucher denken kommerziell. Es geht ihnen um Fundstücke, die sie verkaufen oder als Trophäe in ihre Vitrine stellen können. Das ist nicht nur illegal, sondern auch aus wissenschaftlicher Sicht ein Problem. So werden Fundzusammenhänge zerstört, und die Objekte fehlen später bei der Gesamtinterpretation. Die „Schätze“ eines Unterwasserarchäologen hingegen sind Erkenntnisse. Uns geht es um die Geschichte dahinter. Und die gehört uns allen, weshalb Funde auch in ein Museum gehören und nicht in den Tresor eines reichen Sammlers. Neben der kommerziellen Schatzsucherei ist im Übrigen auch die massive Schleppnetzfischerei ein großes Problem. Mit riesigen Fanggeschirren wird der Meeresboden umgepflügt. Das ist fatal für die Umwelt und gleichzeitig werden dabei unzählige Schiffswracks beschädigt oder für immer vernichtet.

Unterwasserarchäologen umgibt immer auch ein Flair des Abenteurers. Was macht den Beruf so spannend?
Das stimmt, und oftmals ist es tatsächlich auch so. Nicht nur, dass wir alte und unerforschte Schiffswracks oder Siedlungen untersuchen. Sie liegen zusätzlich auch noch in allen Weltmeeren, Flüssen und Seen dieser Welt verteilt – sind also häufig schwer zugänglich und versteckt. Dementsprechend ist die Archäologie unter Wasser sicher eine spannende Mischung aus moderner Technik, unerforschter Geschichte und eben einer Prise Abenteuer à la Indiana Jones. Ich könnte mir keinen besseren Beruf vorstellen. Dennoch verbringe ich auch viel Zeit an Land – ganz normal am Rechner oder auch in der Bibliothek.

Was gehört alles zur Planung und Durchführung einer Tauchkampagne zu einem Wrack, und welche Hürden müssen überwunden werden?
Tatsächlich nehmen Vor- und Nachbereitung einer unterwasserarchäologischen Expedition die meiste Zeit in Anspruch. Tauchen ist dabei in der Regel der geringste Teil. Zunächst muss die Finanzierung stehen, und ich brauche alle behördlichen Genehmigungen. Im Vorfeld erstelle ich eine schriftliche Gefährdungsanalyse, um die Tauchgänge so sicher wie möglich zu machen. Dann brauche ich ein kompetentes Team mit entsprechender Ausrüstung. Dazu kommt ein Schiff, um überhaupt an die Wrackstelle zu kommen.

Ich muss den Zeitraum gut planen und immer das Wetter im Auge behalten. Ruhige Tauchtage auf See sind selten. Am Wrack selbst tickt die Uhr unaufhaltsam. Jeder muss exakt wissen, was er da unten macht: Skizzen erstellen, vermessen, Proben nehmen, den Gasvorrat im Auge behalten, Fotos und Videos machen, sich einen allgemeinen Überblick über die Fundstelle verschaffen und sich die Situation einprägen. Im Anschluss bereiten wir diese Daten dann auf und werten sie aus. Wir schreiben einen Fundbericht, und zu guter Letzt wird ein Bericht veröffentlicht. Im besten Fall kann ich meine Ergebnisse der Öffentlichkeit und/oder auf einer Fachtagung vorstellen.

Tauchen ist nicht ungefährlich. Vor allem, wenn es zu tief gelegenen Wracks geht. Wie lauten die „goldenen Regeln“ beim Tauchen?
Man braucht ein gutes Team, das perfekt aufeinander eingespielt ist. Dazu moderne Tauchausrüstung sowie die entsprechende Ausbildung. Wichtig ist, dass man sich auch nach vielen Jahren der Arbeit unter Wasser niemals selbst überschätzt oder fahrlässig wird. Fehler in großen Tiefen werden nicht verziehen. Wichtig ist auch, die vorher berechnete Gasmenge im Auge zu behalten. Wenn es Zeit ist, aufzutauchen, dann wird auch aufgetaucht. Keine Diskussion oder doch noch schnell eine Arbeit zu Ende bringen. Das muss dann eben im nächsten Tauchgang geschehen.

Welches Wrack würden Sie gerne untersuchen? Was wäre Ihr Traumziel?
Es liegen noch viele unerforschte Wracks in der Ostsee. Da es dort so gut wie keine Schiffsbohrwürmer gibt, sind sie oftmals fast perfekt erhalten. Die Arbeit an solchen Funden ist sensationell – eine Reise in eine längst vergangene Zeit. Wie ein Detektiv komme ich an einen Tatort und versuche herauszufinden, was damals dort geschehen ist. In Französisch-Polynesien liegen an einem unbewohnten Atoll die Reste eines deutschen Segelschiffs aus dem Ersten Weltkrieg. Da möchte ich hin, sobald es wieder möglich ist, sicher zu reisen. Und ich würde gerne die Titanic sehen. Da sie aber in rund 3800 Meter Tiefe liegt, bräuchte ich dazu ein U-Boot. Extrem aufwändig und keine günstige Angelegenheit.

Sie tauchen nicht nur in Seen und Meeren, sondern auch in Höhlen. Was ist gefährlicher?
Beim Höhlentauchen spielt die Psyche eine große Rolle. Es ist dunkel, eng, und man hat eine Decke über dem Kopf. Das heißt, du kannst nicht einfach auftauchen, wenn du dich unwohl fühlst oder ein Problem hast. Wenn du einen Kilometer in eine Höhle hineintauchst, musst du am Ende auch einen Kilometer zurückschwimmen, bevor du wieder frische Luft atmen kannst. In vielen Höhlensystemen ist zudem die Navigation sehr komplex, weil es unzählige Tunnel und Abzweigungen gibt. Deshalb tauchen wir keinen Meter ohne Leine, eine Art Ariadne-Faden, um auch wieder sicher nach Hause zu finden. Wenn man das alles berücksichtigt, dann ist Höhlentauchen sicher und macht unheimlich viel Spaß.

Hat sich die Unterwasserarchäologie in den letzten Jahren geändert? Braucht man mehr technisches Equipment?
Auf alle Fälle. Moderne Tauchausrüstung erlaubt uns heute, sehr sicher und standardisiert in Tiefen bis knapp über 100 Meter zu tauchen und zu arbeiten. Zudem läuft viel Dokumentation heute mit hochauflösenden Kamerasystemen. Aus diesen Fotos und Videos können wir großflächige Fotomosaike oder ganze und extrem detailgetreue 3D-Modelle erstellen. Fantastische Möglichkeiten, um das wieder sichtbar zu machen, was oftmals Jahrhunderte oder gar Jahrtausende im Meer verschwunden war.

Das Mainzer Museum für Antike Schifffahrt hat mit der Hochschule Mainz ein VR-Projekt entwickelt, um Museumsbesuchern virtuelle Tauchgänge zu Wracks zu ermöglichen. Ist diese Technologie auch für die Arbeit des Unterwasserarchäologen nützlich?
Mit Sicherheit wird uns diese Technik in den nächsten Jahren mehr und mehr nützen. Die wenigsten Menschen können oder wollen da tauchen, wo wir sind. Mittels Virtual Reality können aber alle Interessierten selbst abtauchen und auf Entdeckungsreise gehen. Und das, ohne nass zu werden oder sich Gefahren auszusetzen. Dabei wird das Bild beziehungsweise die Umgebung, in der sie sich dann bewegen, so realistisch sein, dass sie denken, sie wären tatsächlich dort. Sonntagnachmittag mal eben runter zur Titanic, um durch die Gänge der ersten Klasse zu tauchen? Kein Problem mehr. So kann das Bewusstsein für unsere Geschichte und auch die Akzeptanz unserer Arbeit unter Wasser enorm gefördert werden. Ich denke dabei auch an den Schulunterricht. So wird eine Lateinstunde zu einer wahren Expedition, wenn es beispielsweise zu einem römischen Wrack geht, wo der Lehrer mit Hilfe von Amphoren den damaligen Handel und die Handelsrouten erklären kann.

Sie arbeiten ja nicht nur als Unterwasserarchäologe, sondern auch als Forschungstaucher. Wie sieht der Job aus?
Als Forschungstaucher arbeiten wir mit unserem Team von Submaris oft interdisziplinär. Neben der Archäologie haben wir vor allem biologische Projekte und erstellen Umweltgutachten. Die meisten Tauchgebiete liegen in der Nord- und Ostsee. Wir sitzen in Kiel, haben dort ein Büro, ein großes Tauchlager mit unterschiedlichster Ausrüstung für alle Art von Einsätzen sowie zwei Arbeitsboote. Unsere Auftraggeber sind beispielsweise der WWF, in dessen Auftrag wir Geisternetze bergen oder das Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume in Schleswig-Holstein (LLUR) sowie die beiden großen Meeresforschungsinstitute GEOMAR in Kiel und das AWI in Bremerhaven. Aber wir übernehmen auch manchmal Unterwasser-Dreharbeiten für Dokumentationen, wie zum Beispiel auch für die aktuelle Terra X-Dokumentation „Geheimnisse aus der Tiefe“.

Geheimnisse aus der Tiefe
Erstausstrahlung ZDF am 21. März 2021, 19:30 Uhr

Film von Nanje Teuscher

Redaktion TV Claudia Moroni
Redaktion Online Michael Büsselberg

Alle Folgen Unterwasserarchäologie mit Florian Huber