Paläontologe Robert de Palma (rechts) und Kollege an einer Fundstelle mit Hautresten eines Triceratops.
Ella Al-Shamahi (Moderatorin und Evolutionsbiologin) Ich muss sagen, das Programm ist unglaublich. Die Animationen sind genial, wirklich charismatisch. Aber das Außergewöhnliche sind für mich natürlich die Entdeckungen. Ich habe schon viele wunderbare Sendungen gesehen, die sich mit einem oder zwei neuen Funden beschäftigen. Aber hier folgte ja eine Entdeckung der anderen - und dann noch eine und noch eine. Wie war das vor laufender Kamera möglich? Das BBC-Team hat die Grabung ja drei Jahre lang exklusiv begleitet – wie muss man sich die Zusammenarbeit vorstellen?
Robert de Palma (Paläontologe) Es hat ein bisschen gedauert, bis wir eine Verbindung aufgebaut hatten. Die Grabungsarbeiten und die Filmarbeiten fanden ja mehr oder weniger zur selben Zeit statt. Und das klappte ziemlich reibungslos. Wir haben bei unserer Arbeit nichts versäumt. Wir haben einfach unsere Forschungsarbeit sinnvoll geplant: Bestimmte Arbeiten dann in Angriff genommen, wenn das Kamerateam da war, und andere Untersuchungen in die Zeit ohne Filmcrew gelegt. Auf diese Weise haben wir keine Zeit verschwendet, und das Kamerateam hat keine Zeit verschwendet.
Das Phänomenale am Ende war dann: Als wir begannen, diese Entdeckungen zu machen – und wir wussten ja vorher nicht, was wir entdecken würden und wann – wurde gerade gedreht. Das war nicht nur wichtig für den Film, wir haben jetzt auch wunderschönes Bildmaterial von der Entdeckung des Thescelosaurusbeins, von der Triceratopshaut und von der Schildkröte. Wichtig ist auch, dass das Material die Grabung von Anfang bis Ende dokumentiert. Das ist wissenschaftliches Gold! Normalerweise wären wir so beschäftigt damit gewesen, die Funde zu bergen, dass gerade noch Zeit für einige Fotos geblieben wäre – aber sicher nicht für vergleichbares Filmmaterial. Deshalb hilft diese Dokumentation der Wissenschaft in vielerlei Hinsicht.
Phil Manning (Paläontologe) Aber die Wissenschaft war natürlich der Schlüssel zu dem Ganzen. Das Projekt nahm seinen Anfang durch einen umfangreichen Aufsatz mit großen Datenmengen, der im Rahmen der Veröffentlichungen der National Academy of Science erschienen ist. Das war sozusagen das Meilenstein-Papier, das Tanis der Welt zum ersten Mal vorstellte und die Region sowohl chemisch als auch zeitlich als eine ganz außergewöhnliche Ablagerung auswies, die sich mit dem Ablauf der Ereignisse am Ende der Kreidezeit in Verbindung bringen lässt.
In einer normalen Dokumentation kommt immer dieser Moment, wenn ein Wissenschaftler einen Fund hochhält und verkündet: Das haben wir gefunden! Ist es nicht wunderbar, dass wir in diesem Fall tatsächlich den Prozess verfolgen können, die Augenblicke, in denen die Funde tatsächlich gemacht wurden. Das ist genau das, was diese Dokumentation für mich so besonders macht. Es war wundervoll, mit dem TV-Team für einen längeren Zeitraum zu arbeiten.
Al-Shamahi An wie vielen Tagen wurde denn überhaupt gedreht?
DePalma Ich habe tatsächlich den Überblick verloren. Ich weiß es nicht, weil wir nicht so vorgegangen sind, wie wir das normalerweise getan hätten. Wir haben ja unsere Forschungsarbeit am Grabungsort weiter betrieben, also aktiv gegraben, Daten gesammelt und verschiedene Arten entdeckt, während die Kameraleute eben ihre Arbeit machten. Deshalb erinnere ich mich nicht an die Zahl der Tage, aber sie waren bei jeder Grabungskampagne vor Ort. Und das war eine phänomenale Erfahrung.
Matthew Thompson (Regisseur) Es gab insgesamt drei längere Besuche am Grabungsort im Verlauf mehrerer Jahre. Ich denke, jeder Besuch dauerte so etwa zehn Tage.
Al-Shamahi Die Funde haben ja auch das Aussehen der animierten Dinosaurier geprägt. Auf welche Weise?
Thompson Das war eine große Herausforderung. Die Tiere zu gestalten, war etwas, das mir großen Spaß gemacht hat. Und wir hatten ja auch viele neue Hinweise, mit denen wir arbeiten konnten. Das Ende der Geschichte war vorgegeben: Der Einschlag des Asteroiden. Wir haben dann versucht, mit den Fossilien vom Fundort zu rekonstruieren, was vor diesem Ende passiert sein könnte. Außerdem wollte ich Lebewesen in verschiedenen Größen zeigen, Räuber und Beute usw. Und schließlich ging es ja vor allem darum, kleine Geschichten zu erzählen.
Al-Shamahi Aber auch das Verhalten der Tiere wird anders dargestellt als in anderen Filmen, oder?
Helen Thomas (Executive Producer BBC) Oh, ja! Genau. Wir wollten, dass sie fressen und Kot fallen lassen. Sie sollten eben alles machen, was sie im Alltagsleben so getan hätten. Matthew hat das auch wirklich gern umgesetzt. Wir wollten die Tiere so lebensnah wie möglich gestalten.
Al-Shamahi In der Dokumentation wird ja auch der Umweltaspekt der Katastrophe angesprochen. Was genau ist damit gemeint?
DePalma Ich bin so froh, dass Sie danach fragen. Denn damit schließt sich der Kreis, und die Bedeutung unserer Forschung für die Gegenwart wird klar erkennbar. Man kann ja über die Kreidezeit selbst sprechen und den Asteroideneinschlag. Und wenn man viele, viele Fragen zu diesen Themen beantwortet, freuen sich natürlich viele Paläontologie-Begeisterte. Aber am Ende ist doch wichtig, dieses Wissen darauf anzuwenden, was heute in der Welt passiert.
Wenn man an die Massenaussterbeereignisse der Vergangenheit denkt – die großen Fünf, wie man sie auch nennt - dann muss man feststellen, dass sich die meisten über lange Zeiträume hinweg ereigneten. Sie brauchten viele Millionen Jahre, um den Status eines globalen Massenaussterbens zu erreichen. Das Aussterbeereignis am Ende der Kreidezeit ist da völlig anders: Zum einen ist es natürlich das jüngste Ereignis dieser Art, aber es passierte auch viel schneller als alle anderen zuvor. Wir reden hier von einem Rahmen von wenigen Jahren. Wenn wir jetzt die moderne Umweltkrise betrachten, dann hat die Situation schon allein wegen ihrer Größenordnung und vor allem wegen des zeitlichen Rahmens eine erschreckende Ähnlichkeit mit dem Großen Sterben am Ende der Kreidezeit. Überlegen wir also, was wir gegen den Klimawandel tun können oder wie unsere Zukunft aussehen wird, kann man natürlich allgemeine Hypothesen aufstellen, alle Arten von Schätzungen und Modellen entwickeln.
Aber die Fossilienfunde sind eine Chance, durch ein Fenster in die Vergangenheit zu schauen und einfach zu sehen, was tatsächlich in so einem Fall passiert. Wie reagiert die Welt und alles Leben auf eine globale Bedrohung? Statt einer Computersimulation können wir uns einfach die Vergangenheit ansehen. Die Grabung ist eine der wenigen Chancen, das zu tun. Deshalb ist sie so außergewöhnlich für uns. Als einzige Art, die es jemals geschafft hat, die Fähigkeit zu entwickeln, solche Dinge zu verstehen, sehe ich es als unsere Pflicht an, das genau zu untersuchen. Und genau das machen wir.
Manning Ich möchte nur eine Kleinigkeit ergänzen: Ich finde das Verständnis von Natur im 21. Jahrhundert zutiefst beängstigend. Der Lockdown hat ja gezeigt, wie Menschen sehr plötzlich in Kontakt mit „Natur“ gekommen sind. Die Menschen haben gar keine Sprache mehr, um die natürliche Welt zu beschreiben. Man braucht aber eine gemeinsame Sprache, um Wissenschaft allen nahezubringen. Wir müssen viel mehr dafür tun, alle Menschen in die Wissenschaft einzubeziehen, die wir liefern. Wir tun das leider nicht – besonders, wenn es um Themen wie Aussterbeereignisse oder Biodiversität geht. Ein Programm wie dieses ist deshalb enorm wichtig, um die Themen weiterzutragen. Wir bräuchten auf jeden Fall mehr Programme wie dieses.
Al-Shamahi Robert, sie haben gesagt, dass es ihr großer Wunsch war, die Überreste eines Dinosauriers zu finden, der am Tag des Impakts gestorben ist. Nun, da sie ihn gefunden haben, gibt es noch offenen Wünsche? Irgendwelche Puzzleteile vom Tag des Einschlags, die sie noch gern finden würden?
DePalma Die Wunschliste ist sogar ziemlich groß und umfasst eine Menge Punkte. Wir haben jetzt einen Dinosaurier, der mit allergrößter Wahrscheinlichkeit direkt an den Folgen des Einschlags starb. Das passt schon mal. Aber von der Geschichte, die in diesem Grabungsbereich erhalten geblieben ist, wollen wir natürlich noch mehr wissen – und zwar von jedem einzelnen Aspekt. Wir wollen mehr Daten über alles sammeln, doppelte und dreifache Bestätigungen der Ergebnisse. Im Grunde suchen wir nach allen möglichen Teilen, die wir nicht vorhersehen können. Jedes Mal, wenn wir da hinaus gehen, sind wir überrascht oder sogar schockiert, weil wir mindestens ein oder zwei Dinge entdecken, von denen wir nie gedacht hätten, dass wir sie finden würden. Und doch finden wir sie. Jedes Mal haben wir dann dieses Wow-Erlebnis. Die Fundstücke bringen immer mehr Klarheit in die gesamte Geschichte, und wir erfahren immer mehr Details darüber, was damals wirklich passiert ist.
Um die Frage etwas allgemeiner zu beantworten: Wir wollen so viele unterschiedliche Daten wie möglich aus diesem Grabungsort gewinnen. Auf diese Weise erhalten wir ein genaueres Bild davon, was zur Zeit des Impakts in der späten Kreidezeit passierte – und wie diese Ergebnisse zu der weiteren Geschichte des Einschlags passen. Also davon, was sich innerhalb der nächsten Millionen Jahre als Folge des Einschlags ereignete. Das erfordert natürlich noch sehr viel Arbeit. Durch unsere bisherigen Anstrengungen weiß ich, dass wir mit dem Projekt erst die Spitze des Eisbergs angekratzt haben. Die Arbeit unseres Teams und anderer Paläontologen, die bereits involviert sind, wird nötig sein, Was meinst du, Phil?
Manning Ich stimme völlig zu. Aber wichtig finde ich auch die Impulse, wonach man überhaupt suchen soll – auch an anderen Orten als Tanis. Ich glaube, Paläontologen haben in der Vergangenheit einiges übersehen, das mit dem Impakt in Zusammenhang stehen könnte. Es gibt sicher noch viele Entdeckungen zu machen, die helfen können, die Löcher in unserem Verständnis von diesem letzten Massenaussterben zu stopfen.
Al-Shamahi Wie lange dauert so eine Grabungsphase eigentlich?
DePalma Gewöhnlich dauert eine Grabung einfach so lange wie möglich. Meistens endet es damit, dass wir das tollste Fundstück entdecken und merken, dass wir es in derselben Saison nicht mehr ausgraben können. Das geht uns jedes Mal so. Gewöhnlich graben wir drei bis vier Monate, das ist so ein Erfahrungswert. Manchmal dauert es auch ein wenig länger. Das hängt vor allem vom Wetter ab.
Al-Shamahi Wann wussten Sie, dass Sie etwas Besonderes entdeckt hatten?
DePalma Gleich mehrere Male ehrlich gesagt. Und jedes Mal dachten wir: Da sind wir ja wirklich an etwas Wichtigem dran. Zum Beispiel als ich zum ersten Mal sah, wie immer mehr Fische ausgegraben wurden. Ich dachte: Das ist unglaublich! Erstaunlich! Niemals zuvor sind so viele Fische im Hell Creek Areal gefunden worden. Wow! Als wir uns die Fische genauer anschauten, stellten wir fest, dass sie als Ergebnis eines einzelnen Events gestorben waren, dass der Fluss in seinem Bett rückwärts geflossen sein muss. Unsere einziger Gedanke war: Das ist unerwartet – wieder ein Wow-Erlebnis!
Und als dann die Funde von Meerestieren auftauchten, wussten wir, dass der Sog sogar noch viel größer war, als wir angenommen hatten, und dass er seinen Ursprung vermutlich im Ozean hatte. Wir haben marine Mikrofossilien, Teile von Ammoniten und solche Sachen gefunden. Das war unglaublich. Wow! zum dritten Mal. Dann kamen die Vulkankügelchen dazu, die geochemischen Ergebnisse und die radiometrische Datierung. Zum ersten Mal begriffen wir, dass das Ereignis mit dem Chicxulub-Einschlag zu tun haben musste. Die Sache musste definitiv etwas ganz Großes sein. Dieser Erkenntnisprozess hatte mehrere Stufen und jede einzelne ließ uns staunen.
Al-Shamahi Eine weitere erstaunliche Sache, die sie entdeckt haben, ist ja auch, dass die Haut des Thescelosaurus einen Camouflage-Effekt hat. Normalerweise wäre das allein schon ausreichend, um eine Dokumentation darüber zu machen. Was hat es mit diesem Effekt auf sich?
DePalma Das Thescelosaurusbein wäre auch dann ein bedeutendes Fossil, wenn es nichts mit dem Einschlag zu tun hätte. Es ist wirklich signifikant und erzählt uns eine Menge über das Gewebe und die Anatomie des Thescelosaurus. Es lässt uns erkennen, wie dieser Saurier wirklich war. Zum Beispiel hatte er wirklich merkwürdige Schuppenmuster. Es gibt da diese verlängerten Schuppen, die seltsame Muster bilden. Wenn man so etwas sieht, fragt man sich: Warum hat sich das ausgerechnet so entwickelt? Ohne Grund entsteht so etwas doch nicht. Es muss eine Funktion haben.
Wir wussten also, dass es Unterschiede in den Schuppenmustern gab. Diese könnten mit Farb- oder Pigmentmustern korrespondiert haben - eine Möglichkeit, die wir noch genauer untersuchen müssen. Wenn das tatsächlich der Fall sein sollte, würden diese Schuppen - basierend auf den Mustern - einen schönen Camouflage-Effekt für das Tier ergeben. Es ist einfach interessant, darüber zu spekulieren und diesen Gedanken im Kopf zu behalten während der weiteren Suche. Denn jedes Mal, wenn wir jetzt eine Ansammlung atypischer Schuppen finden, müssen wir uns fragen: Was könnten sie für das Tier für eine Bedeutung haben? Könnten sie tatsächlich der Tarnung gedient haben? Oder welche Funktion wäre sonst denkbar?
Al-Shamahi Die Fundstücke sehen sehr zerbrechlich aus. Wie leicht kann man wirklich etwas zerstören?
DePalma Das ist erschreckend einfach. Man muss nicht nur beim Ausgraben äußerst vorsichtig sein, sondern sie auch langfristig stabilisieren und dann im Labor präparieren. Sie sind wirklich äußerst zerbrechlich. Zu wissen, dass viele noch da im Boden sind, dass es auf die Fossilien regnet und sie langsam zermahlen werden, treibt uns natürlich an, sie in Sicherheit zu bringen und in der Laborumgebung zu untersuchen. Dasselbe gilt übrigens für die Zeit damals. Wenn Organismen wie der Thescelosaurus, Fische und so weiter sterben, zerfallen sie sehr schnell. Schon kurz nach ihrem Tod kann man sie nicht mehr bewegen, ohne sie zu zerstören. Ein toter Fisch kann nach einer Woche oder einem Monat im Freien kein Fossil mehr werden. Das wars dann. Und auch wenn Fossilen später freigelegt werden, sind sie in der Regel verloren.
Insofern sind wir sehr froh, dass die Erde in Tanis nicht bewegt wurde und das Sediment die Fossilien bis heute fest umschlossen hielt. Das ist der Grund für ihren guten Erhaltungszustand. Ansonsten wären sie heute nicht so wunderbar erhalten geblieben und wir hätten nicht so außergewöhnliche Untersuchungsobjekte.
Bildquelle: ZDF/BBC