Eigentlich könnten ihre musikalischen Welten kaum verschiedener sein: Während die 93-jährige Ruth Rupp seit sieben Jahren als Teil der "Ü70-Truppe" im St. Pauli Theater ihr Hamburger Publikum begeistert, tourt Chris Harms mit seiner erfolgreichen Dark-Metal-Gruppe "Lord Of The Lost" durch Europa, Mexiko und Russland.
Alter Chor und junge Musik
Als die Seniorin also in einem Hamburger Tonstudio auf den 39-jährigen Chris trifft, ist sie erstaunt, dass sie mit dem Heavy Metal-Sänger viele Gemeinsamkeiten hat. So verschieden die zwei Menschen auf den ersten Blick erscheinen, verbindet sie doch ihre Leidenschaft für die Musik. "Wir sind ja nun alle nicht mehr die Jüngsten", sagt Ruth über ihren "Heaven Can Wait Chor". Zwischen 70 und 93 Jahre alt sind die Mitglieder und auf ihrem Programm stehen hier ausschließlich die Hits ihrer Enkel. Songs von den "Fantastischen Vier" oder Sarah Connor zum Beispiel.
"Wenn man so alt geworden ist, dann ist das doch im Grunde genommen für alle eine Bestätigung, noch auf der Bühne stehen zu dürfen, singen zu dürfen und noch sogar Erfolg zu haben", findet Ruth.
Mehr Gemeinsames statt Trennendes
Auch Chris von "Lord Of The Lost" liebt es auf der Bühne zu stehen und das Publikum zu überraschen. "Es gibt Songs, die bestehen nur aus Geknüppel und Gebrülle und auf der anderen Seite gibt es Herzschmerzklavierballaden - und das alles sind wir", erklärt der Front-Sänger den Musikstil von "Lord Of The Lost". Die Jungs sind ähnlich experimentierfreudig wie der Senioren-Chor und produzierten bereits zweimal Klassikalben und Ensemble-Konzerte. Untypisch für eine Metal-Band. Zurzeit arbeiten sie an einem neuen Album – und dafür soll ein Lied gemeinsam mit den Senioren aufgenommen werden.
"We Were Young" ist wohl eine dieser Herzschmerzklavierballaden. "Das Lied geisterte mir schon viele Jahre im Kopf rum", erzählt Band-Gründer Chris. "Der Song handelt vom Älterwerden. Also eigentlich vom alt sein. Ich stelle mir das irgendwie krass vor." Dass Menschen aus der älteren Generation bei diesem Song mitsingen, erzeugt bei ihm Gänsehaut: "Das macht das Lied tiefer und interessanter."
Experiment geglückt
Bereits nach der ersten gemeinsamen Probe ist Ruth erstaunt, wie schön die Stimme des Metal-Sängers ist: "Alle dachten, na ja gut, das ist ein Experiment, wie wird das wohl werden? Und ich bin überrascht worden, wie toll das geklappt hat, wie schnell wir das aufgefasst haben, wie schön du singst", sagt sie zu Chris.
Nächtliche Fahrten im Tour-Bus, internationale große Festivals, Soundcheck, aufwendiges Schminken für die Bühne, Workout, Social Media und Fans in Ekstase versetzen – all das gehört bei einem Auftritt von "Lord Of The Lost" dazu. Ruths Welt sieht da anders aus: Vor einem Auftritt zieht sie sich lediglich kurz ihren Lippenstift nach und macht Stimmübungen. Das war’s. Und dennoch ist sie sicher: es gibt mehr, was den Senioren-Chor und die Heavy-Metal-Band verbindet statt trennt: "Musik ist ja überhaupt das, was die Menschen auf der ganzen Welt verbindet. Das ist zeitlos, das ist absolut zeitlos."
Auch nach der Aufnahme von "We Were Young" hat Ruth Chris noch einmal gesehen, die Band hatte den Seniorenchor zu ihrem nächsten Konzert eingeladen. Ruth ist hingefahren und hat das besondere Konzert "sehr genossen".