1. Herr Jaenicke, Sie waren immer wieder im Einsatz für Tiere unterwegs – diesmal dreht sich bei Ihrem Einsatz alles um Erde. Wie kam es dazu?
Ich habe vor Jahren eine Doku gesehen, sie hieß "Kiss the Ground", die in Amerika für Furore gesorgt hat. Ich hatte das Thema bis dato überhaupt nicht auf dem Schirm. Ich stehe, laufe, sitze, hocke mein ganzes Leben auf Böden herum und habe nie darüber nachgedacht, was wir diesen Böden eigentlich antun – bis zur Recherche für diesen Film.
Ich glaube, die wenigsten Menschen wissen, was unser Umgang mit Böden für Konsequenzen hat. Das beeinflusst massiv unsere Ernährung, weil unser Vieh lebt und weidet auf diesen Boden, oder wird mit Viehfutter versorgt, das auf Äckern angebaut wird. Wir essen Obst, Gemüse, Getreide und Kräuter aus diesen Böden. Und die werden mit Pestiziden gespritzt, überdüngt, übergüllt, was das Zeug hält. Und wenn der Boden richtig ausgelaugt und kaputt ist, wird noch mehr Chemiedünger ausgebracht, damit überhaupt noch etwas wächst.
2. Was ist genau bei Ihrer Recherche herausgekommen? Was sind die Hauptprobleme unserer Böden?
Das Hauptproblem ist, dass sie mit allem belastet sind, was wir weder essen, noch in die Natur einlassen sollten: Mikroplastik, Pestizide, Herbizide, Fungizide, Insektizide, Chemiedünger, Gülle, Feinstaub, alles, was wir als Industriegesellschaft produzieren, landet in den Böden und dementsprechend auch im Wasser. Es gibt engagierte Bauern, die sehr gern auf gesunden Böden anbauen würden und ihre Nutztiere anders halten würden. Aber das verhindert der brutale Preisdruck der Lebensmittelmultis.
3. Landwirtschaftlich genutzte Flächen sind vielerorts belastet und ausgelaugt. Im Film lassen Sie gleich zu Beginn eine Untersuchung machen, bei der Ihr Blut auf Schadstoffe untersucht wird. Wie war das Ergebnis?
Ehrlich gesagt erschreckend, weil ich seit den frühen 1980ern Vegetarier bin, und ich kaufe, wenn ich zu Hause bin, ausschließlich Bio-Produkte - und zwar in Hofläden oder im dörflichen Bioladen. Da ich aber beruflich bedingt viel unterwegs bin, esse ich oft in Restaurants oder in Hotels. Ich schaffe es also nur bedingt, mich gesund zu ernähren, und das Ergebnis meiner Tests war schockierend.
Ich bin voller Giftstoffe. Tröstlich war die Aussage der Ärzte, dass ich kein Einzelfall sei.und viele Patienten noch stärker vergiftet seien als ich. Das war für mich eine Art Augenöffner, dass selbst jemand, der sich bewusst ernährt, voller Giftstoffe ist. Ich hatte Entlaubungsmittel im Blut, wo ich mir denke: "Wo kommt das denn bitte her?" Das wurde im Vietnamkrieg eingesetzt. Wir haben also ziemlich gestaunt, was sich so angesammelt hat in meinen 64 Lenzen.
4. Was kann man gegen diese Schadstoffe im eigenen Blut machen?
Ich denke, man muss sich einfach damit abfinden, dass wir unsere Welt vergiftet haben. Das fängt mit Abgasen und Feinstaub an und hört mit Pestiziden nicht auf. Unser Leben in der industrialisierten Konsum-Gesellschaft ist einfach ungesund. Wir können uns nur anpassen und versuchen, dem irgendwie entgegenzuwirken, indem wir möglichst bewusst essen und konsumieren, Sport treiben und von Junk- und Fast-Food die Finger lassen.
Das ist eine Entscheidung, die jeder für sich selbst treffen muss – auch mit seinem Geldbeutel, weil es leider teurer ist, gesund zu essen. Das ist meines Erachtens ein Versagen des Subventionssystems in der Agrarindustrie. Es wird immer noch nach Hektarfläche, Größe des Betriebs, nach Masse subventioniert. Dadurch geben immer mehr kleine Bauern auf, ihre harte Arbeit lohnt sich nicht mehr. Die anderen werden noch größer, kriegen noch mehr Geld, machen nur noch Massenproduktion. Die Subventions-Politik ist absolut kontraproduktiv.
5. Was war für Sie auf Ihrer Reise die interessanteste oder überraschendste neue Information?
Ich wusste zu dem Thema so gut wie nichts. Ich bin mein Leben lang über den Boden gelaufen, völlig achtlos, könnte man sagen. Also war die Lernkurve bei diesem Film über Boden ziemlich steil. Das überraschendste war für mich die Myzel-Forschung. Offenbar haben wir jahrhundertelang Ackerbau betrieben, ohne das wichtigste Ökosystem des Bodens zu respektieren, nämlich die Pilze. Der größte lebende Organismus der Erde ist das unterirdische Pilzsystem. Davon wusste ich gar nichts. Das wird beim Pflügen kaputt gemacht, es wird durch die Bodenverdichtung mit schweren Treckern kaputt gemacht, auch mit Holzfahrzeugen der Waldindustrie. Also zerstören wir den Boden, ohne zu wissen, was es für Folgen hat. Das ist das eine.
Das andere waren die Begegnungen mit Bodenexperten und Aktivisten. Ein großartiges Beispiel ist der Humuspionier Hans Söhl in Obertaufkirchen in Oberbayern. Der hat ein System der Wurmkompostierung entwickelt und produziert damit eine Kombination aus Dünger und Pflanzenschutzmittel. Das wird verdünnt und auf den Anbauflächen ausgebracht. Es ist letztendlich der Kot von Regenwürmern. So kann er ohne Chemie produzieren, die Substanz funktioniert sowohl als Schädlingsbekämpfung wie auch als Dünger. Das war für mich eine echte Offenbarung, wie existentiell wichtig diese eher hässlichen, ekligen Tierchen sind, die wir Würmer nennen. Die haben eine so unglaublich wichtige Aufgabe. Wir hätten den Film eigentlich auch "Im Einsatz für Regenwürmer" nennen können.
6. An welche Grenzen stoßen Landwirte, Winzer, generell alle, die mit den Böden arbeiten? Und was können – und müssten – sie tun, um die Qualität der Böden zu verbessern?
Zuerst müsste die gesamte Pestizid-Gesetzgebung geändert werden. Da sind Mittel zugelassen, die einfach vom Markt gehören. Es gibt Alternativen. Es gibt Mittel mit weniger Nebenwirkungen. Ein Schlüsselerlebnis hatten wir im Burgenland, da haben wir mit einem großartigen Bio-Winzer gedreht. Bei diesem Biobauern sah der Weinberg aus wie ein blühender Garten Eden, mit Büschen und Insektenhotels, da blühte alles, es summte und flatterte, alles war unfassbar gesund und grün. Und direkt daneben war ein Weinberg, der sah aus wie eine Mondlandschaft. Der Nachbar hatte immer Glyphosat ausgebracht.
Was ich auch nicht wusste: Die Weintraube ist eines der am stärksten behandelten und belasteten Lebensmittel, die es gibt. Und damit seine Reben überhaupt noch etwas produzieren, hat dieser Winzer eine halbzentimeterdicke Schicht von Dünger-Kügelchen ausgefahren. Wir liefen da über eine Art Kugel-Teppich. Und da produziert er seinen Wein ‒ direkt neben dem Bio-Winzer. Es ist auch für Biobauern schwer, die konventionelle Agrarindustrie vom eigenen Betrieb fernzuhalten, weil natürlich bläst der Wind, das Regenwasser vermischt belasteten mit gesundem Humus und versickert im Grundwasser. Das sind Probleme, an denen alle Beteiligten – Politik, Verbraucher, Lebensmittel-, Agrar- und Chemie-Industrie – dringend arbeiten müssen. Da müssen neue Wege und Kompromisse gefunden werden.
7. Was können wir als Verbraucher tun, um die Erde zu schützen?
Zunächst einmal, weil es für jeden machbar ist, Plastik meiden, wo es nur geht. Die am stärksten belasteten Agrarböden, was Mikroplastik betrifft, sind interessanterweise Weinberge. Einfacher Grund: Die Trauben werden oft und großflächig mit Plastiknetzen geschützt, die irgendwann kaputtgehen, zerfallen, sie zersetzen sich in sekundäres Mikroplastik, und die Reben werden mit Plastikmaterial an den Drähten fixiert. Das landet irgendwann alles in den Boden. Die genauen Folgeschäden kennen wir noch nicht, aber Mikroplastik ließe sich vermeiden.
Weiter ist jeder Besuch im Supermarkt eine Kette von Kaufentscheidungen: Bio oder nicht Bio, Fairtrade oder nicht, verpackt oder unverpackt etc. Man sollte auch versuchen, nur das zu kaufen, was man tatsächlich konsumiert und isst. Pro Kopf und Jahr werfen wir knapp 80 Kilogramm Lebensmittel in den Müll. Dann müsste die Agrarindustrie nicht diese unfassbaren Mengen produzieren. Ich denke, die schärfste Waffe gegen Umweltzerstörung ist unser Geldbeutel , und wir sollten das Gehirn einschalten, bevor wir ihn öffnen. Das sind meines Erachtens die Grundregeln für nachhaltigen Konsum.
8. Was ist Ihnen von den Dreharbeiten nachhaltig in Erinnerung geblieben?
Die vielen Einzelkämpfer und Idealisten, die versuchen, sauber zu produzieren, haben mich tief beeindruckt. Wir haben viele von ihnen interviewt und ihre Arbeit und Erfolge gefilmt. Es hat mich echt optimistisch gestimmt, dass es so viele Pioniere gibt, die komplett anders produzieren, nämlich nicht gegen, sondern mit der Natur. Und was ich auch mitgenommen habe: Ich bin bekanntlich begeisterter Weintrinker. Ich trinke seit unseren Dreharbeiten tatsächlich nur noch Bio-Wein.
Das Interview führte Marion Leibrecht, ZDF-Kommunikation.