Sie haben schon einige Filme über bedrohte Tierarten realisiert. Was ist das Besondere an der Situation der Meeresschildkröten?
Es gibt weltweit nur sieben Arten Meeresschildkröten, seit zirka 130 bis 140 Millionen Jahren, und jetzt sind alle akut vom Aussterben bedroht. Vor unseren Augen spielt sich gerade das größte Artensterben der Erdgeschichte ab seit dem Ende der Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren. Jeden Tag verschwinden etwa 150 Arten. Das hat ausschließlich die vermeintlich am weitesten entwickelte Spezies zu verantworten, die sich selbst "Homo Sapiens" nennt, eine tragische Selbstüberschätzung.
Plastikmüll stellt eine große Gefahr für Meeresschildkröten dar. Welche Strategien gibt es, um Plastikmüll zu vermeiden? Was kann jeder von uns tun?
Bei den Erzeugern von Plastikmüll in den Ozeanen ist Coca-Cola weltweit die Nummer eins, Pepsi die Nummer zwei und Nestlé die Nummer drei. Wo bleibt eine rigorose Gesetzgebung gegen Einwegplastik? Jeder von uns kann Plastik vermeiden, indem er möglichst Plastikprodukte oder in Plastik verpackte Lebensmittel meidet, eine eigene Trinkflasche und -tasse dabei hat und Stofftaschen verwendet. Allein wir Deutschen verbrauchen stündlich zirka 320.000 To-Go-Becher, und pro Jahr über 17 Milliarden PET-Flaschen. Wir sind also direkt mitverantwortlich für die globale Plastikpest. Im Gegensatz zu Klimakrise und Artensterben wäre das Plastikproblem mit wenigen Gesetzen zu lösen.
Meeresschildkröten kehren zu dem Strand zurück, an dem sie geschlüpft sind, um ihrerseits ihre Eier abzulegen. Mit welchen Problemen haben die Tiere heute zu kämpfen?
Mit den Praktiken der industriellen Fischerei-Industrie, mit illegal entsorgten sogenannten Geisternetzen, mit Plastikmüll, mit dem Klimawandel – und leider immer noch mit teils massiver Wilderei und fatalen Essgewohnheiten, vor allem in Asien. Fischer betrachten die Meeresschildkröten oft als Konkurrenten. Auch Angelleinen und andere Fanggeräte sorgen für Verletzungen oder führen zum Tod der Tiere.
Was kann man tun, um die Situation der Meeresschildkröten zu verbessern?
Am wirkungsvollsten wäre es, auf den Konsum von Fisch und Meeresfrüchten zu verzichten. Oder den Konsum zumindest stark zu reduzieren. Viele Meeresprodukte sind inzwischen mit Metallen, Mikroplastik und anderen Giftstoffen belastet. Wer auf Fisch nicht verzichten kann oder will hat die Möglichkeit, eine der zahlreichen Organisationen und Vereine unterstützen, die für das Überleben der Meeresschildkröten kämpfen. Viele von ihnen haben wir für unsere Doku besucht, und die unterstütze ich auch mit meiner Stiftung, der "Pelorus Jack Foundation".
Was hat Sie bei den Dreharbeiten, die in Griechenland, USA, Costa Rica und Kenia stattfanden, am meisten beeindruckt?
Die Liste ist lang. Zunächst die Ruhe und Gelassenheit, die diese wunderbaren Tiere ausstrahlen. Die Schwerelosigkeit, mit der sie bis zu sechs Stunden ohne Luft zu holen und bis zu 1.000 Meter tief tauchen können. Ihre Tausende von Kilometer langen Wanderrouten, ihr bis heute teilweise unerforschtes Navigations- und Brutverhalten. Wir wissen nicht einmal, wohin die frisch geschlüpften Babys schwimmen, wenn sie aus ihrem Nest ins Meer gekrabbelt sind. Trotzdem sehen wir weitgehend tatenlos zu, wie diese Tierart ausgerottet wird.
Was war das schönste Erlebnis, was das traurigste?
Das schönste war das Schutzprojekt in Kenia, das von lokalen Fischern gemeinsam mit der AGA (Aktionsgemeinschaft Artenschutz e.V.) aus Deutschland betrieben wird. Hier kehren die Fischer zu traditionellen und nachhaltigen Fangmethoden zurück, um ihre Mangrovenwälder, Meeresschildkröten und Küstengebiete zu schützen. Seitdem steigt dort die Zahl von Meeresschildkröten wieder, und das ist ziemlich einmalig auf der Welt.
Das traurigste Erlebnis war der Besuch in einer Forschungsstation der Universität Florida in St. Augustine. Dort wird untersucht, warum so viele Meeresschildkröten an einem Krebs erkranken, der dem Gebärmutterhalskrebs bei Frauen sehr ähnlich ist. Die Krebsgeschwüre wachsen so heftig, dass die Tiere mit Tumoren übersät sind, kaum mehr schwimmen und sehen können. Der derzeitige Forschungsstand besagt, dass dieser Krebs, FP genannt, dort am häufigsten auftritt, wo intensive Landwirtschaft mit hohem Einsatz von Pestiziden und chemischen Düngemitteln betrieben wird, wie zum Beispiel in Florida.
Das ist mittlerweile Ihre 14. Dokumentation über eine bedrohte Tierart. Gibt es eine Art, die Ihnen ein kleines bisschen mehr ans Herz gewachsen ist?
Meine Lieblingstierart ist immer die, über die wir gerade unsere Filme machen. Zurzeit sind es also definitiv Meeresschildkröten. Wir würden gerne einen minimalen Beitrag dazu leisten, dass diese Tiere nicht dem katastrophalen Artensterben zum Opfer fallen.
Die Fragen stellte Marion Leibrecht
Bildquelle: ZDF/Moritz Geiger