Warum widersetzen sich Kirchengemeinden staatlichen Beschlüssen? Und wie leben Geflüchtete im Kirchenasyl? Ein Iraker im Kirchenasyl in Bayern, ein Pfarrer im Münsterland und eine Berliner Flüchtlingsberaterin erzählen aus ihren Perspektiven von einem täglichen Kampf.
Verzweifelte Suche nach Schutz
Der junge Iraker Mujtaba Ali lebt in einem kleinen Raum neben der Orgel mitten in der Johanneskirche im bayerischen Marktoberdorf. Ohne diese Zuflucht wäre Mujtaba bereits abgeschoben worden. Als Homosexueller in seiner Heimat verfolgt, floh er nach Europa. Doch im EU-Land Bulgarien wurde er wieder Opfer von Gewalt: Schläge durch Polizisten, eingesperrt in einer überfüllten Zelle, kaum Verpflegung und mangelnde Hygiene.
Als er aus dem Gefängnis entlassen wurde, ging er nach Deutschland, um dort seinen Asylantrag zu stellen. Aber nach geltendem EU-Recht muss in dem Land sein Asylverfahren bearbeitet werden, in dem er zuerst erfasst wurde – also Bulgarien. Allein die Vorstellung, wieder dorthin zurückgebracht zu werden, lässt ihn nicht mehr ruhig schlafen. Seine letzte Hoffnung ist das Kirchenasyl, damit Deutschland in sein Asylverfahren eintritt. Er ist dankbar, dass man ihn als Fremden in Marktoberdorf aufgenommen hat. Doch das Leben im Kirchenasyl birgt viele Herausforderungen für ihn und auch für die Gemeinde.
Akt der Menschlichkeit
Pfarrer Michael Ostholthoff aus Haltern am See gewährt seit 2020 Kirchenasyle. Es geht ihm nicht darum, dass seine Schützlinge ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland bekommen. Für ihn ist erst einmal entscheidend, dass ihr Asylverfahren im rechtsstaatlichen Deutschland bearbeitet wird und nicht in EU-Ländern, in denen die Menschenwürde mit Füßen getreten wird.
Der Vorwurf, er widersetze sich geltendem Recht, lässt ihn kalt. Als Christ steht für ihn die im Grundgesetz festgehaltene Würde des Menschen höher. Deswegen lebt er in seinem Pfarrhaus in einer Art WG mit fünf Männern im Kirchenasyl. Das Zusammenleben ist nicht einfach, die Kommunikation oft schwierig. Die Gemeinde muss zudem für alle Kosten aufkommen. Auch wenn er schon negative Erfahrungen gemacht hat, kann er nicht anders, als diesen Menschen Schutz zu gewähren.
Nicht allen kann geholfen werden
In Berlin bekommt die Flüchtlingsberaterin Cecilia Juretzka jeden Tag bis zu 20 Nachrichten von verzweifelten Menschen, die Kirchenasyl suchen. Anrufe, WhatsApp-Nachrichten, E-Mails – Tag und Nacht. Doch die Zahl der Kirchenasylplätze ist begrenzt. In Vorgesprächen versucht sie auszuloten, wer für ein Kirchenasyl geeignet ist und wer nicht. Doch wie kann sie individuelles Leid objektiv bewerten?
Die Arbeit belastet, nicht allen kann sie helfen, und angesichts der immer schärferen öffentlichen Debatte über Geflüchtete wird die Verunsicherung von Gemeinden stetig größer, ob sie Kirchenasyl gewähren sollen.
Letzte Hoffnung Kirchenasyl – drei Menschen erzählen ihre Geschichten. Als Betroffener, der Schutz sucht, als Pfarrer, der sich aus christlicher Überzeugung in eine Grauzone mit dem Rechtsstaat begibt, und als Flüchtlingsberaterin, die sich als Schnittstelle zwischen Gemeinden und Flüchtlingen aufreibt.