Marc hat nach einem Burn-out der Zivilisation den Rücken gekehrt. Günther lebt seit 60 Jahren allein im Wald. Die harte Arbeit ist Therapie für ihn. "37°" begleitet ein Jahr lang zwei Männer, die sich für ein Leben im Einklang mit der Natur entschieden haben.
"Ich hatte vorher Existenzängste"
Seit 2014 ist der Wald bei Grasellenbach das Zuhause von Marc Freukes (46). Hierhin verschlug es den ehemaligen Golflehrer nach einer schweren Lebenskrise. Durch das Leben in der Natur fand Marc zurück zu sich selbst und schöpfte neuen Mut. "Ich hatte vorher Existenzängste. Die Frage, wie ich wohnen will, wie ich leben will - die war vorher komplett unbeantwortet. Und die hat sich hier draußen sehr stark herauskristallisiert." Statt durch Golfstunden für Bundesligisten und Besserverdienende verdient er sein Geld heute durch Wildnis-Kurse für Naturbegeisterte. Viel braucht Marc nicht zum Glücklichsein. Doch auch sein neues Refugium ist bedroht.
In Deutschland ist es grundsätzlich nicht erlaubt, ohne Sondergenehmigung im Wald zu bauen. Seine 19 Quadratmeter große Jurte im Odenwald hatte Marc aber illegal errichtet. Deshalb liegt er schon seit Jahren mit den örtlichen Behörden im Clinch. Im Sommer 2020 kommt es zum Showdown: Marcs Hütte soll nach jahrelangen Auseinandersetzungen zwangsgeräumt und abgerissen werden. Im letzten Moment können Marc und die Behörden eine vorläufige Einigung aushandeln. Doch Marc muss erkennen, dass sein Traum vom Leben im Einklang mit der Natur und deutsche Gesetze nur schwer miteinander vereinbar sind. Deshalb muss er erneut umdenken.
Der Kontakt zu seiner Familie ist nie abgerissen, obwohl Marcs Mutter Ulrike seinem Lebensentwurf, der für sie "ein Extrem" ist, nichts abgewinnen kann. Eine Rückkehr in sein altes Leben kommt jedoch für ihren Sohn nicht infrage. Schweren Herzens verlässt Marc seine selbst gebaute Wohnstätte und zieht in einen Bauwagen, den er sich mit einfachen Mitteln herrichtet. Von 19 Quadratmetern bleiben nun etwas mehr als zehn. Wie werden die Behörden dem eigensinnigen Waldbewohner zukünftig begegnen?
Ein Leben abseits der Zivilisation
Günther Hamker (80) lebt seit er Anfang 20 ist abseits der Zivilisation in Niedersachsen. Er stammt aus einer großbürgerlichen Familie. Sein Großvater, ein Margarine-Fabrikant, schenkte ihm ein 80 Hektar großes Waldstück nahe der Bodensteiner Klippen in Sehlde. Der Wald wird Günthers Lebenselixier. Er zieht in eine bescheidene Jagdhütte, teilt sein Zuhause mit Siebenschläfern und Mäusen: "Geliebt habe ich den Wald schon immer, schon als ich das erste Mal mit meinem Großvater hier oben war, es war für mich ein Traum."
Eigentlich wollte Günther Arzt werden, verdient sich das Geld fürs Studium als freier Forstwirt. Der Leistungsdruck ist immens. In seiner Familie gehörte Alkohol mit zum guten Ton - Günther trinkt immer mehr. Als es schon fast zu spät ist, wendet er sich an die Anonymen Alkoholiker und schafft den Entzug. Jetzt kommt ihm die Abgeschiedenheit zugute. Die festen Abläufe und die körperliche Arbeit im Wald geben ihm Halt und sind Therapie für ihn: "Der Wald hat mich gerettet. Ich habe schnell gemerkt, dass es nicht mehr die vielen Wenns und Abers gibt, die ich sonst in meinem Leben hatte."
Seine entbehrungsreiche Art zu wohnen wirkte auf Frauen abschreckend: Nur eine hielt es fünf Jahre in Günthers spartanischen Zuhause mit ihm aus. Vor allem im Winter bedeutet Leben dort oben Überleben. Inzwischen schafft der 80-Jährige die viele Arbeit nicht mehr ganz allein. Manchmal hilft ihm ein guter Freund beim Holzfällen. Doch wenn es stürmt oder schneit, ist Günther von der Außenwelt abgeschnitten, die Telefonleitung oft lahmgelegt. Sollte ihm etwas zustoßen, käme jede Hilfe zu spät. Auch die Zerstörung seines Lebensraums beobachtet Günther mit Sorge: Drei Jahre Dürre und der Borkenkäfer haben dem Wald extrem zugesetzt, über die Hälfte der Bäume um seine Hütte herum mussten abgeholzt werden. "Wir müssen lernen, im Einklang mit der Natur zu leben anstatt sie auszubeuten", sagt Günther, der jahrelang gegen das Waldsterben gekämpft hat. Wie lange wird er sein autarkes, selbstbestimmtes Leben noch führen können?
Gedanken der Autoren Ulrike Schenk und Daniel Hartung:
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