Wie geht man damit um, wenn plötzlich alle Wünsche und Vorstellungen, wie das zukünftige Leben aussehen soll, unklar und unsicher werden? 37 Grad begleitet zwei Frauen, für die sich das Leben mit einem Schlag veränderte.
Blitzschlag beim Wäscheaufhängen
Als Lena 2018 ihr Abitur in Bonn macht, hat sie große Pläne. Sie ist politisch aktiv, sie hat einen Studienplatz für Biomedizin, alles scheint in Ordnung. Vor ihrem Studium möchte sie einen Freiwilligendienst machen. Sie geht nach einem sechsmonatigen Freiwilligen Sozialen Jahr an einer Förderschule in Bonn im April 2019 für einen Freiwilligendienst nach Bolivien.
Doch nach gerade einmal drei Wochen, am 22. April 2019, ändert sich ihr Leben für immer. Beim Wäscheaufhängen wird sie von einem "verirrten" Trockenblitz getroffen. Andere Freiwillige müssen sie reanimieren, sie wird ins künstliche Koma versetzt und acht Tage später vom Roten Kreuz nach Deutschland ausgeflogen. Es steht schlecht um sie, die deutschen Ärzte sagen ihren Eltern, sie sollen sich von ihr verabschieden.
Plötzlich ist alles anders
Lena überlebt, doch nach dem Unfall ist alles anders. Sie hat Mobilitätseinschränkungen und Hörschäden, kämpft neben ihren Traumata auch mit Depression und Magersucht. Plötzlich merkt sie, wie Menschen mit Behinderung benachteiligt werden, wie viel Kraft sie immer wieder aufbringen muss, um für sich zu kämpfen. Schwierig ist es zum Beispiel, ein Gutachten zur Fahrtüchtigkeit erstellen zu lassen. Sie will selbst wieder ohne Sorge Auto fahren können, damit ihre Eltern sie nicht ständig zu ihren zahlreichen Arztterminen bringen müssen.
Kraft schöpfen kann Lena aus ihrem Aktivismus. Sie schreibt an einem Buch zum Thema Ableismus (Diskriminierung von Menschen mit Behinderung), sie ist bei der Bonner Grünen Jugend aktiv, setzt sich für behindertenpolitische, queere und feministische Themen ein. Mit zwei Freunden aus der Grünen Jugend fährt sie im Sommer, zum ersten Mal seit ihrem Unfall, weg. Früher ist sie sehr gern gereist, nun macht sie es endlich wieder. Und noch etwas aus ihrem "alten Leben" hat sie wieder für sich gefunden: das Schwimmen. Lenas Ziel: Mit einem paralympischen Schwimmteam zu trainieren und an Wettkämpfen teilzunehmen.
Wiedererwachen im Krankenhaus
Der erste Anfall kam kurz nach ihrem 50. Geburtstag. Ingrid ist gerade mit dem Fahrrad auf dem Rückweg von einer Tagung, als sie merkt, dass sie nicht mehr gut sieht. Kurze Zeit später wacht sie im Krankenhaus auf. Sie kann sich nicht erinnern, wie sie dort gelandet ist. Ihr Mann sitzt neben ihr, als der Arzt kommt und ihr die Diagnose unterbreitet: Epilepsie. Zunächst bedeutet diese Diagnose keinen großen Einschnitt für Ingrid. Dann kommt anderthalb Jahre später der zweite Anfall. Nun ist es sicher, dass sie Epilepsie hat. Bei Ingrid kommen die epileptischen Anfälle selten, dafür dann aber immer so heftig, dass sie sich an nichts erinnern kann.
Als sie im November 2019 ihren vorerst letzten Anfall bekommt, gerät ihre Welt ins Wanken. Das Jugendamt entzieht ihr die Erlaubnis, weiter in ihrem Beruf als Tagesmutter zu arbeiten. Es war ihr Traumberuf, den sie eigentlich bis zur Rente ausüben wollte. So beginnt mit Mitte 50 plötzlich das Suchen nach einer neuen Perspektive.
Neuanfang
Lena und Ingrid sind sehr unterschiedlich, haben jedoch eines gemeinsam: Für beide kam ihr lebensveränderndes Ereignis völlig unerwartet und ohne jegliche Vorwarnung. Sie müssen ihr Leben neu ausrichten, sich beruflich neu orientieren. Akzeptieren, dass nun einige Dinge nicht mehr so gehen wie früher, und dafür Neues finden, das ihnen Spaß und Freude bereitet. 37 Grad hat die beiden ein Jahr lang bei diesem Prozess begleitet.
Die Autorin Lotta Pommerien über ihren Film
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Reportage über Lena und ihre Reise