Wie gehen junge Artistinnen mit diesen Herausforderungen um, in einer Welt, in der die Rolle der Frau noch sehr traditionell ist? Welche Weichen stellen sie, damit ihr Zirkus und ihre Familien auch in Zukunft überleben können?
Vivian ist die älteste Tochter von Zirkus-Legende Bernhard Paul. Der Name Roncalli ist einer der wohl berühmtesten und schillerndsten in Deutschland. Bernhard Paul gründete den Zirkus Roncalli gemeinsam mit dem Aktionskünstler André Heller in den 1970er-Jahren.
Büroarbeit statt Bühnenluft
Vivi ist gemeinsam mit ihren Geschwistern Adrian und Lili im Zirkus aufgewachsen – wie bei allen Zirkuskindern war klar, dass auch sie in die Manege geht. Dort hat sie sich ihre Sporen als Rollschuh-Artistin und mit Luft-Akrobatik in schwindelerregender Höhe verdient. Doch als älteste Tochter des Unternehmers muss sie mehr und mehr auf die Bühnenluft verzichten. Die 31-Jährige übernimmt zunehmend Aufgaben in der Unternehmensführung. Sie wohnt auch nicht mehr im Wohnwagen, sondern hat ihre eigene Wohnung. Auch wenn ihr das manchmal schwerfällt und ihr die Decke auf den Kopf fällt. "Wir sind immer rumgereist, und ich bin eben ein echtes Zirkuskind", sagt sie von sich.
Anstatt selbst in der Manege zu stehen, castet sie nun die Artisten, die in Zirkus und Varieté auftreten werden. Ob die engagierten Künstlerinnen und Künstler sich zu Kassenmagneten entwickeln, weiß man erst, wenn die Show startet.
Auftritte gibt es für Vivi kaum mehr. Sie hält sich fit, so gut es ihre täglichen Aufgaben zulassen, aber für die Bühne reicht das nicht mehr. Denn Roncalli ist eine echte Firma mit vielen Angestellten, die auch in der Coronapandemie ihren Lohn erwarten. Was heißt das für eine junge Frau in dieser Welt? Und was hat das noch mit der Zirkuswelt zu tun, wie wir sie kennen?
Durch Corona fehlt der Applaus
Im Januar 2022 brachte Deborah Lauenburger ihren kleinen Antonio zur Welt. Am Tag zuvor hatte die 25-Jährige noch Popcorn im Magdeburger Weihnachtszirkus, dem Zirkus Paul Busch, verkauft. Vier Tage nach der Geburt packte sie schon wieder mit an. Kinderkriegen ist in der Zirkuswelt kein Grund, kürzerzutreten. Das Kind ist bei allem dabei, auch beim Training oder während der Vorstellung.
Deborah ist für die Pferde zuständig. Normalerweise unterhält sie das Publikum mit spektakulären Kunststücken auf den Pferderücken. Doch während der Monate der Pandemie fehlte ihr ein wichtiges Lebenselixier: der Applaus. "Wer einmal den Duft der Sägespäne im Zirkuszelt gerochen hat, den lässt es nicht mehr los." Ein alter Spruch, der auch auf Deborah zutrifft.
Nostalgie und Nebelmaschine?!
Dass ihre Branche Zukunft hat, daran zweifelt Deborah überhaupt nicht. Noch immer strahlen Kinderaugen pure Begeisterung und Glück aus, wenn sie Deborahs Reitkunststücke und ihren Ehemann Kalito als Clown sehen. Außerdem ist ihr Zirkus modern mit Lasern, Nebelmaschinen und digitalen Showeffekten ausgestattet. Sie weiß, dass die Zuschauer gern die Nostalgie mögen, die Zirkusse ausstrahlen, und dass das Publikum hier im Gegensatz zu YouTube und Fernsehen live und unmittelbar dabei sein kann. Sie weiß aber auch, dass sie und ihr Mann sich noch einiges einfallen lassen müssen, wenn sie weiterhin gegen Social Media, Playstation und Netflix bestehen wollen.
Wie wird es für sie ganz persönlich sein – der erste Auftritt nach sehr kurzer Babypause? Wie fühlt es sich nach der Geburt eines Kindes an, zum ersten Mal wieder im knappen Kostüm auf dem Pferderücken? Wie wird ihr Körper klarkommen, schafft sie es, ihre alte Sicherheit zurückzugewinnen? Und wie wird Baby Antonio mit der Situation klarkommen? Denn auch für ihn gibt es keine Ausnahme – er wird wie alle kleinen Familienmitglieder – einfach an den Rand der Manege gestellt und schaut aus dem Kinderwagen zu.
Die Autoren Daniela Fonrobert und Thomas Müller über den Film
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