Spieglein, Spieglein an der Wand

Dass Schönsein und das Streben nach Schönheit wichtig in meinem Leben ist, merke ich – merkwürdigerweise – je älter ich werde. Ich hätte es nicht gedacht, aber es stimmt, und je länger ich darüber nachdenke, desto mehr liegt die Erklärung auf der Hand: Als ich jung war, waren eine glatte Haut und ein frischer Teint ganz selbstverständlich für mich. Die wichtigsten Utensilien in meinem Badezimmer waren Zahncreme, Duschgel, Shampoo, Deo, Parfüm. Geschminkt war ich in fünf, maximal 10 Minuten. Und heute? Darüber will ich gar nicht erst nachdenken. „Altwerden ist nichts für Feiglinge,“ sagt man. Auch das stimmt. Trotzdem will ich alt werden und dabei gut aussehen. So gut, wie die Natur es erlaubt. Botox, Hyaluron, sich gar für die Schönheit unters Messer legen. Ich? Niemals! Schönheitskorrekturen kein Thema für mich. Als dann aber eine Kosmetikerin unserer noch nicht einmal 30-jährigen Tochter rät, schon mal vorsorglich mit Botox-Unterspritzungen anzufangen, wird es zum Thema - und ich komme aus dem Staunen nicht heraus, wer alles in unserem Umfeld zum Beauty-Doktor geht. Frauen wie Männer. Jung und Alt. Die Dame an der Supermarktkasse, ein Herr, der uns die Post bringt, Kolleginnen, Kollegen und viele mehr lassen regelmäßig „etwas machen“, wie man verniedlichend sagt, sprechen ungern darüber oder verheimlichen es lieber ganz, selbst vor dem/der Lebenspartner/in, erzählt man mir nun im vertraulichen Gespräch als ich sage, ich würde mich dafür interessieren.

Nun aber interessiert es mich erst recht. Ich will wissen, was alles heutzutage möglich ist? Ob man es den Menschen immer ansieht oder nur die extrem „gemachten Gesichter“ erkennt? Ich will mehr über die Risiken wissen. Die Schmerzen. Die Kosten. Wie es in der Praxis aussieht – nicht nur in den Social Medien, wo der Gang zu einem Beauty-Doc als das Normalste in der Welt angepriesen, ein rundes Gesicht angeblich mittels ein paar Unterspritzungen die ideale Dreiecksform bekommt, hängende Augenlider und – Wangen weggezaubert, pralle Lippen hingezaubert werden. Mit der Redaktion von 37 Grad vereinbare ich, das Thema zu recherchieren. Ohne zu werten, ist unsere Verabredung.

Ich recherchiere in München, der Stadt mit der pro Kopf gesehen meisten Ärztinnen und Ärzten, die sich der ästhetischen Medizin verschrieben haben. Zunächst will ich wissen, wer sind die Frauen und Männer, die „etwas machen lassen wollen“ und wer die Ärztinnen und Ärzte, die diese Wünsche erfüllen - in Kollegenkreisen häufig als „Wunscherfüller“ geringgeschätzt. Ich treffe eine Bloggerin, die auf Instagram über nichts Anderes berichtet als über sich und ihre Erfahrungen bei ihrem Beauty-Doc, dem, wie sie sagt, weltweit besten Schönheitschirurgen überhaupt. Er hat ihre „Brüste gemacht, Fett abgesaugt“ und sie will vor die Kamera gehen, um das Thema endlich zu enttabuisieren.  Ein mutiger Schritt, denke ich. Aber die Bloggerin zieht ihre Zusage zurück. Ähnlich geht es mir mit einer jungen Frau, die schon mit Anfang 20 begonnen hat, sich die Stirn und Augenpartie unterspritzen zu lassen. Stirn und Augenpartie sind starr gespritzt. „Alles, um nur nicht wie meine Mutter mit Anfang 40 Falten zu haben,“ sagt sie. Auch sie findet, Beauty-Behandlungen sollten kein Tabu sein, zieht sich aber zurück. Ebenso wie eine junge Krankenschwester und deren Mutter, die sich beide die Brüste vergrößern ließen. Eine selbstbewusst auftretende Businessfrau, die es geradezu absurd findet, nicht darüber zu sprechen. Dann aber doch Nachteile in ihrem Job fürchtet. Ein Polizist, der zusagt und dann doch denkt, der Gang zu einem Beauty-Doc könnte dem Image schaden.

Zunächst zweifele ich an mir selbst. Wie sonst erklärt es sich, dass ich immer wieder Absagen bekomme? Dann aber stoße ich auf eine Studie, die besagt, dass die Mehrheit der Patientinnen und Patienten Schönheitskorrekturen nach wie vor lieber verschweigen. Jedenfalls erweist sich das Thema als ebenso schwierig wie vielfältig. Darum beschließe ich, die Recherche auf sogenannte minimalinvasive Schönheitsbehandlungen zu konzentrieren. Die Ärzte, die solche Eingriffe anbieten, berichten übereinstimmend von dem Wunsch nach Perfektionierung. „Selbstoptimierung“ sei das neue Zauberwort, der aktuelle Trend und die Messlatte heutiger Schönheitsideale. Und immer mehr Frauen, aber auch Männer seien bereit immer mehr dafür zu bezahlen. Aus der eigenen Tasche wohlgemerkt, denn in nur wenigen Fällen übernimmt eine Kasse die hohen Kosten einer Schönheitskorrektur. Der Hype um „die perfekte Schönheit“ beginne heute schon in ganz jungen Jahren und immer wieder höre ich: Der Gang zum Beauty-Doc werde in naher Zukunft so normal sein, wie ein Frisörbesuch. Die Branche boomt, auch in Deutschland. Wie kann das sein, in einem Land, wo das Thema bis vor nicht allzu langer Zeit belächelt wurde und sogar ziemlich verpönt war?

Unter den vielen Beauty-Doktoren, die ich in München befragt habe, entscheide ich mich für zwei Ärztinnen: Dr. Isabel Perianez, ursprünglich in der Notfallchirurgie tätig, hat sich vor acht Jahren mit ihrer Praxis im Uni-Viertel Schwabing niedergelassen. Dr. Leila Frohn, die eigentlich eine wissenschaftliche Karriere im Münchener Herzzentrum anstrebte, war vor zwanzig Jahren eine der ersten Beauty-Ärzte in München. Ihre Praxis ist im Nobel-Vorort Grünwald. Beide sind passionierte Medizinerinnen, haben sich die Ärztinnen aus persönlichen Gründen für ihr heutiges Arbeitsfeld entschieden. Dr. Frohn, um Kinder und Beruf miteinander verbinden zu können. Dr. Perianez, um nach 20 Jahren Mutter- und Hausfrauendasein wieder ins Berufsleben zu finden. Auch die Ärztinnen stellen mir immer wieder Patientinnen und Patienten vor. Zu Vorgesprächen bereit, ohne Kamera. Nur wenige wollen vor der Kamera dazu stehen, was sie „machen lassen“. „Viele Patienten schämen sich,“ bestätigt Tina Hirthe, die Assistentin von Dr. Perianez, „viele Frauen wollen nicht, dass wir die Post zu ihnen nach Hause schicken, weil der Ehemann nicht wissen darf, dass „ihre Frau so etwas macht“. Es ist noch immer ein Tabuthema.“ Zu den Mutigen, die vor die Kamera gehen, gehört Tina H.s 23-jährige Tochter Mailin, deren Freunde – Frauen wie Männer – alle zum Beauty-Doc gehen. Eigentlich will Mailin „nur“ über ihre unterspritzten Lippen sprechen, berichtet aber dann schweren Herzens über ihr „wirkliches Problem“: die Nase. Die hat sich Mailin kurz vor den Dreharbeiten operativ verkleinern lassen.

Und Güngör outet sich: „Mich haben die Augenringe gestört“ und weiß um seine Schwäche für Schönheitseingriffe. Der Manager, der wie er sagt „aus einer typischen Gastarbeiterfamilie“ kommt, gefiel sich im Spiegel nicht mehr als er auf die 50 zuging und wollte seine Frische wiederhaben. So geht es auch Nicole, für die Schönheit und Perfektion ein Teil ihres Glücks ist, und nicht nur für sie. Nicole bringt ihre 72-jährige Mutter mit zu Dr. Frohn. Die Ärztin, die selbst eine enge Beziehung zu der eigenen Mutter hat, versteht das: „Töchter wollen, dass ihre Mutter für immer die größte und schönste bleibt.“ Norbert, ein ehemaliger Polizist, wird 60, und will den Alterungsprozess aufhalten. Er steht ohne Wenn und Aber zu den Schönheitsbehandlungen, auch wenn manch einer in seinem Freundeskreis ihn dafür verlacht. So unterschiedlich die Menschen sind, die ich treffe, so unterschiedlich ihre Geschichten und Beweggründe. Yasmins Geschichte hat uns alle beeindruckt. Sie litt viele Jahre unter Depressionen. Sie macht eine Psychotherapie und kämpft sich mit Mitte 50 zurück ins Leben. Mit dem Besuch beim Beauty-Doc belohnt sie sich für ihre Disziplin, berichtet sie mir. Und so bin ich immer wieder überrascht, werfe meine Vorurteile über Bord.

Ich hatte gedacht, „Spieglein, Spieglein an der Wand“ sei ein oberflächliches Thema. Das nehme ich zurück. Gutaussehende Menschen haben bessere Chancen im Beruf, das beweisen unzählige Studien, und im Privaten sehen wir zuerst das äußere Erscheinungsbild. Nein. Schönheit ist kein oberflächliches Thema. Aber können all die Eingriffe, die heute möglich, die Mittel und Methoden, die verfügbar sind, wirklich glücklich oder zumindest zufriedener machen, frage ich die Ärztinnen am Ende der Dreharbeiten. „Ich versuche meine Patientinnen und Patienten, die zu sehr nach Schönheit und Perfektion streben, zu bremsen und ich bin auch nicht bereit, alle Wünsche zu erfüllen,“ antwortet Dr. Isabel Perianez. Und Dr. Leila Frohn lacht: „Es macht vielleicht im ersten Augenblick zufriedener. Aber wirklich zufrieden macht Zufriedenheit mit dem eigenen Leben und eine gesunde Portion Selbstbewusstsein.“