Schlauer als der Rest der Welt

Ich wollte keinen Klischeefilm machen. Keine Reportage über schachspielende Wunderkinder, über 5jährige, die Chopin und Schubert spielen. Überflieger, die drei Klassen überspringen und mit 15 Physik studieren.

Die Realität Hochbegabter hat auch eine andere Variante: Scheitern, nie dazugehören, verzweifeln, unerreichbarer Perfektionismus anstatt Überflieger, Ausnahmetalent und Genie. Hochbegabte können zu Schul-Abbrechern werden und jeden Kontakt zum Umfeld abbrechen. Einsamkeit, Depressionen, die Folgen prägen das ganze Leben. Ich habe mit rund 100 hochbegabten Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen, früh getestet und spät erkannt, gesprochen. Diese besonderen Menschen haben im Beruf und Alltag mit Vorurteilen und Klischees zu kämpfen. Viele von ihnen verschweigen ihre Intelligenz, um dem zu entgehen. Manche stapeln tief, um nicht aufzufallen und nicht abzuschrecken.

Wie visualisiert man schnelles Denken? Wie portraitiert  man Menschen, die nichts offensichtlich Besonderes machen? Bei denen das Außergewöhnliche unsichtbar im Kopf sitzt? Dies filmisch umzusetzen, war eine besonders große Herausforderung, die nur zu bewältigen war, durch die unglaubliche Reflektion unserer ProtagonistInnen. Drei wunderbare Menschen, die alle weder reich noch berühmt sind, die kein oder ein eher schlechtes Abitur haben, für die die Schulzeit ein Greuel war; Die nie gelernt haben, zu lernen; Die sich nur schwer auf eine Sache konzentrieren können. Die mit großer Kraftanstrengung durchhalten und sich selten festbeißen können. Denen es einfach oft nicht gut geht, weil sie von Selbstzweifeln geplagt und ihrem Perfektionismus täglich nicht gerecht werden.

Typisch für Hochbegabung sind Fülle, Dichte, Tempo, Komplexität und Gleichzeitigkeit des Denkens auf allen Ebenen. Einfach ausgedrückt: diese Menschen haben einen Hochleistungsmotor im Gehirn. Ob der mit angezogener Handbremse in der Garage steht oder auf einer freien Rennstrecke so schnell fährt, wie er kann, entscheiden Förderung und Umfeld. Die Dreharbeiten mit unseren ProtagonistInnen gab unglaublich tiefe Einblicke in das schnelle Denken und die tiefgründige Gefühlswelt der Hochbegabten. Die Schulzeit war auch für sie das unangenehmste Kapitel ihres bisherigen Lebens.

Statistisch gesehen sind in jedem Schuljahrgang zwei Hochbegabte. Erkannt werden sie im Unterricht nur selten. LehrerInnen sind dafür nicht ausgebildet. Elitendenken und Förderung des oberen Endes haben immer noch einen schalen Beigeschmack, lieber wird sich über vermeintliche Schlauberger amüsiert. Es gib immer wieder Eltern, die das Verhalten ihrer Kinder mit Hochbegabung begründen,  ohne dass die Kinder getestet sind. Die Eltern, die eine klare Diagnose bekommen haben, sprechen oft nicht einmal mit der Familie oder engsten FreundInnen darüber, zu groß ist die Sorge auf Unverständnis oder schlimmer noch, auf Neid zu treffen.

Die Kinder halten die Schulzeit irgendwie durch. SchülerInnen beenden sie mit einem Realschulabschluss nach 6 Schulwechseln und ewigem Sitzenbleiben wie Rechenkünstler Rüdiger Gamm. Sein IQ wird auf 200 geschätzt. Oder mit einem Abischnitt von 3,1 wie Thorsten Heitzmann, der mit einem IQ von 150 Chef einer High IQ Society ist. Oder mit einem durchschnittlichen Abi wie Pia, die jahrelanges Mobbing in der Schule ertrug und sich jetzt mit 36 an eine Doktorarbeit wagt. Ihr IQ wurde mit 138 gemessen.

Andere werden Journalistin mit einer Leidenschaft, die nun seit 30 Jahren jeden Arbeitstag zu einem erfüllenden und glücklichen macht. Ich weiss von meiner Hochbegabung seit 2015. Ich bin Mitglied bei Mensa und Intertel. Für die Aufnahme dort ist ein IQ von 130 bzw. 140 erforderlich. Ich habe mein Abitur geradeso mit 3,4 geschafft. Sitzen bleiben wollte ich auf keinen Fall, ich hätte ja dann ein Jahr länger zur Schule gehen müssen. Auch eine Art Motivation. Ich danke an dieser Stelle meinem Deutschlehrer Peter Ganser. Ihm verdanke ich die Liebe zu schöner Sprache. Wären doch mehr Lehrkräfte so wie er.