Über Schmerzmittelsucht zu sprechen, ist ein Tabu. Dabei geht man von über 1,6 Millionen Abhängigen in Deutschland aus. In dieser 37 Grad-Sendung erzählen drei Betroffene, wie sie durch ihre Schmerzen in einen Teufelskreis aus Abhängigkeit und Krankheit geraten sind.
Ein Fahrradunfall war der Anfang
Melanie (44) erlitt vor vier Jahren bei einem Fahrradunfall ein schweres Schädelhirntrauma. Es entwickelte sich bei ihr das komplexe, regionale Schmerzsyndrom (CRPS). Verschrieben wurden ihr starke Schmerzmittel, darunter Opioide. Diese dämpften die Schmerzen, doch auch die sonst so lebensfrohe Melanie stumpfte ab. Selbst wenn ihr Mann, mit dem sie seit zwanzig Jahren glücklich zusammen ist, "Ich liebe dich" zu ihr sagte, fühlte sie wenig. "Ich hatte das Gefühl, innerlich tot zu sein."
Dass ihre Teilnahmslosigkeit eine Nebenwirkung der Opioide war, realisierte sie zunächst nicht. Erst als die Schmerzmittel nicht mehr wirkten und ein Arzt stärkere empfahl, traf sie die Erkenntnis wie ein Schlag: "Ich bin opioidabhänig!" Melanie entschied sich für einen krassen Schritt: einen kalten Entzug im hauseigenen Badezimmer. Ihre chronischen Schmerzen blieben und schränkten die Versicherungsmitarbeiterin lange im Job, Familienleben und in ihrer Freizeit ein. "Trotzdem geht es mir viel besser, weil ich wieder fühlen kann!" Ihre Schmerzen bekämpft Melanie nun fast ganz ohne Medikamente und durch eine multimodale Schmerztherapie.
Schleichende Sucht
"Meine Kindheit war nicht sehr glücklich", erzählt Fabio (22). "Ich habe viel Einsamkeit, Überforderung und Kälte erlebt". Mit 13 Jahren entdeckte er eine chemische Möglichkeit, sich das Gefühl von Wärme und Liebe zu holen – durch Opioide. Er fing mit Codein in Hustensaft an, steigerte seinen Konsum irgendwann mit Tilidin und Oxycodon. Bald landete er beim Heroin. "Es war ein so wohliges Gefühl. Als würde dich deine liebste Person umarmen."
Im Alter zwischen 15 und 21 konsumierte er fast täglich. Einige Male war er wegen Überdosen dem Tod sehr nah. Seine Freunde redeten ihm intensiv ins Gewissen, endlich zu entziehen. Trotz inneren Widerstands schaffte es Fabio, in die Drogen-Selbsthilfe Fleckenbühl zu gehen. Nach einem harten Entzug lernt er dort mit Hilfe eines Lyrikkurses und der Gemeinschaft seine Gefühle wieder kennen, die nun ohne die Drogen ungedämpft ans Licht kommen. Der Student hofft, nach einem Jahr Drogenfreiheit seinen Clean-Geburtstag feiern und vielleicht sogar wieder zurück in sein "normales" Leben finden zu können.
Regelmäßig rezeptfreie Schmerzmittel
Klaus musste fit sein und täglich "abliefern". Sein Beruf als selbständiger Tennistrainer und Veranstalter für Sportreisen verlangte ihm viel ab. Mit den Jahren häuften sich jedoch körperliche Beschwerden. Er litt an starken Schmerzen in Knien und Handgelenk. Daher nahm Klaus über einige Jahre regelmäßig rezeptfreie Schmerzmittel ein – Diclofenac und Ibuprofen. Um einsatzfähig zu bleiben, steigerte er rasch die Dosen. Das ein oder andere Glas Wein verstärkte ihre Wirkung noch zusätzlich.
Nach Jahren der Tabletteneinnahme versagten plötzlich seine Leber und Nieren. Fast ein Jahr lag der einstige Sportler im Krankenhaus und bekam – dem Tode nah – eine Lebertransplantation. Seine Schwester und sein bester Freund hielten zu ihm. Doch mit seinem körperlichen Zusammenbruch erlebte Klaus auch einen sozialen Abstieg: Er verlor seine Firma, seine Wohnung, sein Auto. Heute lebt der 67-Jährige von Grundsicherung und leidet weiter unter ständigen Schmerzen. Die einzigen Schmerzmittel, die er aufgrund seiner geschädigten Organe noch nehmen kann, sind Opioide. Seinen sportlichen Ehrgeiz hat Klaus dennoch nicht verloren und so kämpft er täglich darum, seinen Bewegungsradius ein klein wenig zu erweitern.
In unserer Leistungsgesellschaft müssen wir "funktionieren" – seelisch und körperlich. Das schafft ein gefährliches Einfallstor für einen allzu leichtfertigen Umgang mit Medikamenten. In der 37 Grad-Sendung berichten Melanie, Klaus und Fabio von ihrer Abhängigkeit von rezeptpflichtigen und rezeptfreien Schmerzmitteln und ihrem schwierigen Weg, sich aus der Abwärtsspirale zu befreien und einen neuen Umgang mit Schmerz zu lernen.