Durch die Möglichkeiten der modernen Medizin steigt die Zahl derer, die ohne permanente Intensivpflege nicht überleben würden. Also lieber Apparatemedizin und oft qualvolles Leiden? Was will der Patient, der sich vielleicht gar nicht mehr äußern kann?
Alternative zur Beatmung: der Tod
Der 65-jährige "taz"-Mitbegründer und Journalist Benedict Mülder bekam im Jahr 2009 die Diagnose Amyotrophe Lateralsklerose, kurz ALS, eine Krankheit, die zu totaler Bewegungslosigkeit führt. Er hat sich damals dafür entschieden, mit der Krankheit weiterzuleben. Mit Beatmung und zu Hause bei seiner Familie. Seine Frau Dagmar hat die Entscheidung mitgetragen – aus Liebe zu ihm: "Es war uns klar, dass wir uns immer für das Leben entscheiden." Die Alternative zur Beatmung wäre der Tod gewesen. Seit Jahren liegt Benedict Mülder nun bewegungslos in einem Pflegebett im Wohnzimmer seiner Familie.
Der Alltag findet um ihn herum statt: das Abendessen mit Sohn Jim genauso wie der regelmäßige Besuch von seinen Freunden. Durch das Krankenbett im Wohnzimmer hat Benedict Mülder Anteil am Leben. Aber welchen eigentlich? Er ist völlig passiv und reagiert nicht auf Ansprache. 2016, als er noch kommunizieren konnte, hat er klar gesagt: Dieses Leben ist für ihn lebenswert. Ob er das heute immer noch so empfindet? Das wissen weder seine Frau noch seine Freunde.
Entscheidung über Leben und Tod
Johannes Kalbhenn muss täglich Entscheidungen über das Leben anderer treffen. Der 41-Jährige ist Oberarzt einer Intensivstation am Universitätsklinikum Freiburg und behandelt oft Patienten, die sich nie damit auseinandergesetzt haben, unter welchen möglicherweise massiven Einschränkungen sie trotzdem weiterleben wollen - oder nicht. Noch komplexer wird die Frage, wenn sich Patienten nicht mehr äußern können oder nicht mehr bei Bewusstsein sind: "Mit jedem Organ, das wir durch Apparate ersetzen können, wächst die Verantwortung. Ist es überhaupt sinnvoll, das zu tun?", so Johannes Kalbhenn.
Wenn ein Patient nicht mehr bei Bewusstsein oder dement ist, es keine Patientenverfügung gibt, ist die größte Herausforderung für den Arzt, durch Gespräche mit Angehörigen herauszufinden, was dessen mutmaßlicher Wille ist. Es gibt dabei nie hundertprozentige Gewissheit, ob eine getroffene Entscheidung wirklich im Sinne des Patienten ist.
"37°" begleitet Menschen, die sich damit auseinandersetzen, wie Patientenwille und moderne Medizin zueinander stehen. Im Film geht es vor allem um die ethische Seite des Themas, bei der es selten ein eindeutiges Richtig oder Falsch gibt.