Thomas Hitzlsperger, Marcus Urban und Benjamin Näßler sprechen über ihre Erfahrungen mit dem Coming-out – und darüber, wie wichtig ein offenes Bekenntnis für die Leistungsfähigkeit auf dem Platz und für das persönliche Glück ist.
Bislang gibt es keine Studie zur Anzahl der schwulen Spieler in der Bundesliga – und keinen aktiven deutschen Profispieler, der sich zu seiner Homosexualität bekannte.
Zu "weich" für "echten Männersport"?!
Thomas Hitzlsperger ist diesen Schritt bisher als Einziger gegangen. Das war 2014, allerdings erst nach seiner aktiven Spielerzeit. Als Fußballer hat er ganz oben mitgemischt: Mit dem VfB Stuttgart hat er 2007 die deutsche Meisterschaft gewonnen, mit der Nationalmannschaft wurde er Dritter beim "Sommermärchen" – der Heim-WM 2006. Seinem knallharten Schuss mit links verdankt er den Spitznamen "Hitz The Hammer". Und straft damit all jene Lügen, die glauben, Schwule seien zu "weich" für "echten Männersport".
Es dauerte lange, bis sich der heute 38-Jährige seine Homosexualität eingestand. Als er mit dem Gedanken spielte, sich zu outen, rieten ihm die wenigen Eingeweihten dringend davon ab. "'Du wirst es nicht aushalten', war ihre Sorge", erinnert sich Hitzlsperger. "Als Profispieler ist man ohnehin einem enormen Druck und der ständigen Öffentlichkeit ausgesetzt. Einen zusätzlichen Rucksack muss man erst mal tragen können."
"Zwischen Selbsthass und Depression"
Marcus Urban hat der Druck und die innere Zerrissenheit wohl eine Karriere als Profifußballer gekostet. Als Jugendnationalspieler war er ein aufgehender Stern bei Rot-Weiß Erfurt, eines der großen Talente des ostdeutschen Fußballes. "Aber dass ich mich für Männer interessierte, wurde zu einem Riesenproblem für mich. Das darf nicht sein - ich bin Fußballer!"
Urban, der für sein ästhetisches und passgenaues Spiel gefeiert wurde, gab sich zunehmend aggressiv auf dem Platz, pöbelte manchmal sogar mit homophoben Beleidigungen. "Ich wollte mit keiner Geste verraten, dass ich schwul bin." Er hatte Angst vor dem Karriereende, Angst davor, zum Außenseiter zu werden. "Vor allem in der Kabine fühlte ich mich verdammt einsam. Ich war nie wirklich Teil der Mannschaft, habe einen großen Teil meiner Persönlichkeit vor allen versteckt, auch vor mir selbst. Das war ein ständiges Schwanken zwischen Selbsthass und Depression." Schließlich gab er den Traum vom Profifußball auf. "Ein Spiel hat 90 Minuten. Ein Leben, wenn's gut läuft, vielleicht 90 Jahre. Ich wollte lieber frei sein, als meine Sexualität und mein Wesen der Karriere wegen weiter zu verleugnen."
Aktionen gegen Diskriminierung und Schwulenhass im Fußball
Auch Benjamin Näßler hat jahrelang seine Homosexualität vor seiner Familie, seinen Freunden und seiner Mannschaft versteckt. Dabei spielte der heute 31-Jährige bloß in der Kreisliga in seiner schwäbischen Heimat. "Es ging eigentlich um nichts - und doch um alles. Ich wusste, was die Menschen in meiner Umgebung mit dem Wort 'schwul' assoziierten. Das war nie was Gutes." Benjamin Näßler tat alles, um nicht aufzufallen. "Ich habe Freundinnen erfunden und mich machohaft benommen. Als mir alles über den Kopf wuchs, dachte ich sogar daran, mich umzubringen."
Nach langen inneren Kämpfen fand er den Mut, sich zu seiner Homosexualität zu bekennen. 2017 heiratete er seinen langjährigen Freund. Und im Jahr 2020 wagte er sogar den Schritt an die Öffentlichkeit und setzt sich nun als amtierender "Mr. Gay Germany" mit seinen Kampagnen "Doppelpass" und "Liebe kennt keine Pause" gegen Diskriminierung und Schwulenhass im Fußball ein. "Vor allem jungen Spielern will ich es leichter machen, sich zu outen und stolz auf sich zu sein. Im Fußball geht es um Erfolg, und dabei ist es völlig egal, wen du liebst!"
Für mehr Toleranz und Diversität
Welche Erfahrungen haben prominente Akteure der Branche mit Homophobie im Fußball gemacht? Das fragt "37°" auch den Ex-Trainer und Technischen Direktor vom FC St. Pauli, Ewald Lienen, die beiden Bundesliga-Spieler Christopher Trimmel und Christian Gentner von Union Berlin sowie den St.-Pauli-Fan und Sänger der Band Kettcar, Marcus Wiebusch. Wo sehen sie die Ursachen für die Tabuisierung? Und welche Ansätze und Signale gibt es aktuell für mehr Toleranz und Diversität?
37 Grad-Autorin Annette Heinrich über ihren Film
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