Es trifft Bürgermeister, Abgeordnete oder Kandidaten für politische Ämter. Wie verändert ständige Bedrohung das Leben der Betroffenen? Welchen Einfluss hat es auf ihre Arbeit? 37 Grad begleitet Politiker, die mit Anfeindungen, Hass und Hetze leben.
Hassbotschaften per E-Mail
René Wilke ist Oberbürgermeister von Frankfurt/Oder und Mitglied der Partei DIE LINKE. Seit seinem Amtsantritt 2018 gab es mehrere Morddrohungen. Wilke musste sogar umziehen, weil Menschen vor seiner Haustür oder im Aufgang seines Hauses auf ihn gewartet hatten. Beleidigungen gehören für ihn zum Alltag. Die Hassbotschaften kommen per E-Mail, über soziale Netzwerke und als Briefe, oftmals nicht anonymisiert.
Die Strategie des 37-Jährigen: Er hat es sich zur Gewohnheit gemacht, die Menschen, die ihm Drohbriefe schreiben, persönlich zu besuchen. Er klingelt bei ihnen, zeigt ihnen, was sie geschrieben haben, und versucht, darüber zu reden und herauszufinden, ob sich hinter den Drohungen ein wirkliches Anliegen verbirgt. Häufig trifft er auf Menschen, denen es dann zutiefst peinlich ist zu sehen, was sie geschrieben haben.
Diffamiert mit Bodyshaming
Ricarda Lang ist Bundesvorsitzende und frauenpolitische Sprecherin der Grünen. Ihre Schwerpunkte sind Bildungs- und Hochschulpolitik, Diversity, Feminismus und Body Positivity. Die Angriffe gegen sie beginnen, zunächst vornehmlich im Netz, als sie 2017 zur Jugendsprecherin der Grünen gewählt wird. Egal zu welchem Thema sie sich äußert, sie erlebt hauptsächlich Bodyshaming in Form von bösartigen Beschimpfungen. Im April 2021 wird ihr Name auf dem Klingelschild ihrer Privatwohnung rot durchgestrichen.
Nach einem Auftritt bei "Hart aber fair" im Juni 2021 trendet ihr Name auf Platz eins bei Twitter, ein Shitstorm ergießt sich über die 27-Jährige, wieder wird sie wegen ihrer Figur aufs Übelste beleidigt und diffamiert. In einem Statement sagt sie: "Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich stehe da immer komplett drüber", und weiter, dass sie mittlerweile eine Schere im Kopf habe und häufiger überlegen würde, ob sie etwas so sagen könne. Doch für Ricarda Lang bedeuten die Hassbotschaften auch Motivation: "Das ist genau das, was die wollen. Das Ziel, Frauen mundtot zu machen."
Messerattacke
Auch Andreas Hollstein, 59, hat Hass, Hetze und Gewalt gegen Amtsträger erlebt. Hollstein war von 1999 bis 2020 Bürgermeister im westfälischen Altena. 2017 wird er in einem Imbiss ganz in der Nähe seines Hauses mit einem Messer angegriffen und verletzt. Zwar sitzt er schon am nächsten Tag wieder in seinem Büro, doch der Angriff wirkt nach. Der erste Gang durch die Stadt nach der Tat kostet Überwindung, in den folgenden Monaten erleidet Andreas Hollstein drei Hörstürze.
2018 wird der Täter wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Heute wohnt der Täter an seinem alten Wohnort ganz in der Nähe von Hollsteins Wohnung. Auch nach dem Attentat erhält der CDU-Politiker immer wieder Morddrohungen, so auch nach der Festnahme eines Tatverdächtigen im Zusammenhang mit den Ermittlungen im Mordfall Walter Lübcke. Andreas Hollstein will nicht aufgeben. Er kandidiert 2020 für das Amt des Oberbürgermeisters in Dortmund, unterliegt aber knapp dem Kandidaten der SPD.
37 Grad begleitet die Protagonisten in den jeweiligen Städten, bei Veranstaltungen und Sitzungen.