Für Hörende ist die Schauspielerin ein Wunderkind, weil sie die Lautsprache perfekt beherrscht. "Aber es ist für mich kein Kompliment, wenn man mir sagt, wie toll ich spreche", sagt die 34-Jährige. Das jahrelange Verstecken ihrer Taubheit hat Spuren hinterlassen.
Schwerbehindert?
Zehn Prozent beträgt Annes Hörfähigkeit – sie gilt damit als schwerbehindert. Als Kind tauber Eltern scheint ihr Weg festgelegt: Sie wird nur eingeschränkt an der Gesellschaft teilhaben können.
Ihr Vater will, dass sein Kind ausschließlich mit Gebärdensprache aufwächst. Aus eigener Erfahrung weiß er, gehörlose Kinder begreifen die Welt mit den Augen, nicht mit den Ohren. Und sie kommunizieren mit den Händen.
Lautsprache lernen: "Das war wie Leistungssport."
Aber die hörenden Eltern der Mutter drängen, wenigstens den Versuch zu starten, Anne die Lautsprache beizubringen. Der Vater kann das nicht akzeptieren, verlässt die Familie. Anne bekommt sehr früh Hörgeräte und die Oma, Lehrerin an einer Gehörlosenschule, übt täglich intensiv mit Anne ausschließlich Lautsprache. "Das war wie Leistungssport", sagt Anne.
Sie spielt Klavier, wird Teil einer Berliner Roller-Derby-Mannschaft, tritt im Jugendtheater auf. Überall ist sie nur noch von Hörenden umgeben, vor denen sie ihre Gehörlosigkeit immer erfolgreicher verbergen kann. "Ich wollte unbedingt beweisen, dass ich alles genauso gut kann wie Hörende."
Sie macht Abitur. Ohne Lernbegleitung, die ihr als Gehörloser eigentlich zusteht. Das überfordert sie immer mehr, denn von dem Gesagten um sie herum kann sie sich nur circa 60 Prozent entschlüsseln. Das wird noch schwieriger, als sie ausgerechnet eine Schauspielausbildung beginnt. Auch dort verschweigt sie ihr Handicap und bekommt wegen kleiner Sprachfehler keinen Abschluss.
Durchbruch als Schauspielerin
Trotzdem schafft sie es, Hauptdarstellerin in "I am Error" - einem Film über eine Gehörlose - zu werden. Und das wird schließlich auch ihr eigenes Coming-out als taube Person. Sie bringt sich selbst die Gebärdensprache bei, bekommt Rollen am "Deutschen Gehörlosen Theater".
Jetzt lebt sie ständig in zwei gegensätzlichen Welten – in der Welt der Gehörlosen und der Welt der Hörenden. Sie gehört nirgendwo richtig dazu. Dieser Spagat zwischen den Welten wird immer stressiger, endet schließlich in einem seelischen Zusammenbruch. "Ich bin immer nur auf Barrieren gestoßen, bis ich mich dann schließlich für die Gehörlosencommunity entschieden habe."
Denn dort wird sie nicht ständig über ihren fehlenden akustischen Sinn definiert. Zum ersten Mal fühlt sie sich als vollwertiger Mensch und sagt jetzt selbstbewusst: "Dazu bin ich nicht auf der Welt, nur damit ich perfekt sprechen kann."
Der Spielfilm behandelt das gleiche Thema
Und genau diese Botschaft kann sie aktuell auch als Schauspielerin umsetzen. Im ZDF-Spielfilm "Du sollst hören!" geht es um die Frage, ob ein Leben als taube Person weniger wert ist als ein Leben mit Gehör. Im Film wie im echten Leben kämpft Anne darum, dass taube Menschen taub bleiben dürfen. Allen technischen Möglichkeiten zum Trotz.
Die 37 Grad-Reportage hat Anne zwei Jahre begleitet und zeigt, wie sie ihre Identität als Taube gefunden und sich ihre Sicht auf das Thema "Gehör und Sprache" im Lauf der Zeit verändert hat.
Autorin Nanina Bauer über die Dreharbeiten
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Weiteres zum Thema GehörlosigkeitEs gibt unterschiedliche Perspektiven, wie man auf das Thema schauen kann. Aus medizinischer Sicht steht der Grad der Schwerhörigkeit im Vordergrund:
Aus Sicht der Gehörlosengemeinschaft definiert man sich aber nicht defizitorientiert, sondern sprachlich und kulturell. So gibt es eine eigene Art, Geschichten zu erzählen, eigenen Humor, und eine besondere Art, Theater zu spielen.
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