Burkhard (79), Nicole (57) und Bruno (70) bessern mit dem Pfand nicht nur ihre schmale Haushaltskasse auf. Sie schätzen am Flaschensammeln auch die Bewegung, die sozialen Kontakte und die feste Tagesstruktur. Alle drei sind Flaschensammler aus Überzeugung. Wir haben sie ein halbes Jahr lang in ihrem Alltag begleitet.
"Jetzt ist Flaschensammel-Zeit!"
Burkhard aus Hannover ist ein klassischer "Lebenskünstler": Er hat als Bildhauer gearbeitet, einen Flohmarkt organisiert, war Musiker. Seit fast zwölf Jahren - seit er eine kleine Rente bezieht - sammelt Burkhard nachts am "Café Glocksee" die Pfandflaschen des Partyvolks. Mit seinem Einkaufswagen steht Burkhard im Hof und unterhält sich mit den jungen Leuten. Inzwischen ist er dort zu einer Art Kultfigur geworden. Das Flaschensammeln hilft Burkhard, seinen Tag zu strukturieren: "Jetzt ist Flaschensammel-Zeit, dann Flaschenwegbring-Zeit, so hat man immer was zu tun. Und so ist man im Leben drin, ich könnte mir nicht vorstellen, im Altersheim am Stadtrand darauf zu warten, dass das Essen kommt." Burkhard lebt allein, seine sozialen Kontakte finden hauptsächlich im Umfeld des Cafés statt.
2017 hatte Burkhard einen Herzinfarkt, seitdem braucht er mehr Ruhe und ist nicht mehr so fit: "Das Flaschensammeln bringt mich in Bewegung, raus aus dem Haus, unter Menschen. Das tut mir gut, sonst wird man immer schlaffer. Und dann verdiene ich auch noch ein bisschen was dabei." Aber wie lange wird Burkhard das noch gesundheitlich schaffen?
"Armut macht unsichtbar."
Nicole stammt aus Düsseldorf. "Am Anfang hatte ich massive Hemmungen, in einen Mülleimer zu greifen. Aber wenn Sie nicht reingreifen, kriegen Sie nichts, da muss man drüber weg. Manche Leute gucken dann weg, andere gucken mitleidig, aber meistens wird man gar nicht gesehen - weil Armut unsichtbar macht." Seit 2011 ist die diplomierte Sozialarbeiterin aufgrund eines schweren Rückenleidens und eines Wirbelimplantates erwerbsunfähig. Sie kann keinem normalen Job mehr nachgehen, weil sie unter chronischen Schmerzen leidet. Und plötzlich blieben der alleinerziehenden Mutter nach Abzug ihrer Fixkosten nur noch knapp 100 Euro im Monat. So begann sie mit dem Pfandsammeln: "Ich kann nichts anderes machen, aber das ist eine ehrliche Arbeit. Ich trinke nicht, ich nehme keine Drogen, ich prostituiere mich nicht. Wofür sollte ich mich schämen?"
Nicole ist es gewohnt, zu kämpfen, sich durchzubeißen. Ihr Sohn ist längst ausgezogen, aber Flaschen sammelt Nicole noch immer. So oft es ihre Gesundheit zulässt, verlässt sie um 4:30 Uhr ihre Wohnung in "Arbeitskleidung" und sucht die Straßen ab, sie durchwühlt knapp 250 Mülleimer nach Leergut. "Ich will mir einmal im Monat eine Tasse Kaffee leisten, ohne überlegen zu müssen, was ich morgen zu Mittag esse."
"Ich kann mir was gönnen!"
Bruno kommt an richtig guten Tagen auf einen Stundensatz von knapp fünf Euro. Acht Cent bringen Glasflaschen, 15 Cent Mehrwegflaschen und PET-Flaschen sogar 25 Cent: Edelpfand nennt er das. "Das ist schon hart - andererseits liegt da bares Geld auf der Straße, und das einfach liegen lassen? Kann ich auch nicht." Brunos Revier ist die Reeperbahn auf St. Pauli. Er sammelt, wenn die anderen feiern: von Mitternacht bis morgens früh. "Ich sammele, wenn es am ökonomischsten ist. Jetzt ist der meiste Krach, da kann ich eh nicht schlafen. Dann gehe ich halt spazieren, bleibe agil und verdiene dabei Geld." Die Konkurrenz unter Pfandsammlern ist groß, nicht selten kommt es zu "Revierkämpfen" untereinander. Und auch betrunkene Kiezbesucher gehen die Sammler oft aggressiv an. Bruno versucht, sich aus allem Ärger rauszuhalten. 2008 kam er aus dem Osten nach Hamburg, um hier einen Job zu finden. Trotz seiner drei Ausbildungen fand er nichts, für ihn ein herber Schlag.
Mit dem Pfandgeld besserte er seine Haushaltskasse auf. Inzwischen ist er in Rente und lebt von 800 Euro im Monat. "Von dem Flaschengeld kann ich mir ab und zu ein Highlight gönnen, wie im Restaurant zu essen. Das tut der Seele gut, und danach geht es mir besser." Die Miete in Hamburg kann er sich nicht mehr leisten, daher muss er umziehen, in eine kleine Wohnung im sächsischen Görlitz. Dort will er neu anfangen.