Oftmals schlummern Talente in ihnen, wie der Tastsinn der Blinden, eine Inselbegabung bei Autisten oder das feine Gespür von Gehörlosen. Nur wenn Unternehmen und Arbeitgeber einen Perspektivwechsel wagen, kann eine gute Zusammenarbeit gelingen.
Erst abgestempelt, dann unersetzlich
Claudia (39) aus Falkensee in Brandenburg weiß, was es bedeutet, ein Leben lang "abgestempelt" zu werden. Aufgrund einer Erbkrankheit erblindete sie im Laufe ihrer Jugend fast vollständig und fühlte sich zunehmend wertlos. Ihren Berufswunsch als Masseurin finanzierte ihr niemand, und die Ausbildung zur "Bürokraft mit Behindertenstatus" führte nur zu jahrelanger Arbeitslosigkeit und beklemmender Abhängigkeit vom Jobcenter.
Doch dann hörte die alleinerziehende Mutter zweier Kinder von einer genialen Idee: Weil blinde Frauen mit ihrem ausgeprägten Tastsinn kleinste Veränderungen im Brustgewebe identifizieren können, werden sie in der Krebsvorsorge gebraucht. Dank dieser Ausbildung und ihrem ersten festen Job als Medizinisch-Taktile Untersucherin hat Claudia endlich ein Stück Unabhängigkeit erlangt. Doch es gibt auch dort immer wieder Rückschläge.
Knallhart: die Prüfung
Andreas (27) aus Alfter bei Bonn hat endlich eine berufliche Vision für sich entdeckt. Als Asperger-Autist übervorsichtig und auf absolute Sicherheit bedacht, blieb er vom allgemeinen Arbeitsmarkt jahrelang ausgeschlossen. Doch vor Kurzem hat sich für ihn am nahen Flughafen Köln-Bonn eine Chance ergeben: Jede Nacht müssen allein in der Sortierhalle von DHL Airways Tausende Pakete manuell auf Gefahrgut durchleuchtet werden. Für solche sicherheitsrelevanten Aufgaben haben Autisten wie Andreas ein besonderes Faible: Viele können Muster präzise erkennen und verfallen dabei nie in Routine.
Deshalb hat DHL Airways – bislang einmalig in der Branche – damit begonnen, junge Menschen mit Autismus-Diagnose speziell für diese Tätigkeit auszubilden. Andreas ist begeistert und trainiert monatelang für die notwendige Zertifizierung durch das Luftfahrtbundesamt. Doch dann scheitert er am zweiten Prüfungsteil und muss noch einmal antreten. Unterdessen kann er bei DHL wenigstens schon mal einen Übergangsjob bekommen. Andreas weiß: Die Prüfung zur "Kontrollkraft für Fracht und Post" ist knallhart. Und er hat nur noch eine Chance.
Früher Putzkraft, heute Teamleiterin
Die gehörlose Camelia (52) hingegen hat nach langen, beschwerlichen Jahren als Putzkraft in einer kleinen Düsseldorfer Teemanufaktur endlich ihre berufliche Erfüllung gefunden. In der Manufaktur arbeiten Hörende und Gehörlose zusammen. Camelia ist inzwischen zur Teamleiterin aufgestiegen. Ein Erfolg, den sie niemals erwartet hätte. Anders als im privaten Alltag, wo Gehörlose wie Camelia regelmäßig auf unüberwindliche Kommunikationsbarrieren stoßen, hat sie im achtsamen Arbeitsumfeld immer wieder kleine Erfolgserlebnisse. Das motiviert sie, auch im privaten Bereich neue Schritte zu wagen.
"37°" begleitet drei Menschen mit Behinderung durch ihre Höhen und Tiefen auf dem ersten Arbeitsmarkt.