Vom Knast auf die Bühne
Bei "aufBruch" stehen Strafgefangene und Ex-Häftlinge gemeinsam auf der Bühne. 37 Grad begleitet vier Darsteller bei den Proben zu Schillers "Die Räuber". Was gibt ihnen die Theaterarbeit und was lernen sie dabei für ihr Leben in Freiheit?
Das Berliner Gefängnistheater "aufBruch" inszeniert einmal im Jahr Theaterstücke außerhalb der Gefängnismauern. In einem Amphitheater auf der Jungfernheide proben sie in diesem Jahr Schillers "Die Räuber" ein. Für viele der Darsteller ist das Theaterspielen eine besondere Herausforderung, sehen sie sich doch oft zum ersten Mal mit der sogenannten "Hochkultur" konfrontiert.
Theater als Kraftort
Max etwa hat im letzten Jahr das erste Mal bei "aufBruch" auf der Bühne gestanden. "Bei der ersten Probe habe ich mir noch gedacht: Oh Gott, oh Gott, das wird nie was! Theater, das war so für mich so Schickimicki, High Society und so was!" Seine Einstellung zum Theater hat er mittlerweile komplett revidiert. Es gibt ihm nämlich etwas, was ihm in seinem Leben in Freiheit oft fehlt: Eine Struktur. Für Max, der seit anderthalb Jahren in der JVA Plötzensee inhaftiert ist und kurz vor seiner Entlassung steht, ist klar, dass er bei Schillers "Die Räuber" auch auf der Bühne stehen will, wenn er wieder in Freiheit ist. Voller Engagement ist er bei den ersten Proben. Doch es kommt anders als gedacht: Kaum in Freiheit, wird Max wieder inhaftiert.
Auch Sadam sitzt in der JVA Plötzensee in Haft – voraussichtlich noch anderthalb Jahre lang. Er hat von der Gefängnisleitung die Genehmigung bekommen, an den Proben und der Aufführung teilzunehmen. Ein großes Privileg und ein Zeichen dafür, dass er sich während seiner Haft nichts zu Schulden hat kommen lassen. Der 30-Jährige, der schon zum zweiten Mal im Gefängnis gelandet ist, blüht bei den Proben förmlich auf: "Im Gefängnis bin ich eher so der zurückhaltende Typ, der eigentlich mit niemandem zu tun haben will, der eigentlich seine Ruhe haben will." Das ist bei "aufBruch" anders: "Im Theater bin ich eher offen, lasse mich auf alles ein." Bei den Proben ist er mit voller Leidenschaft bei der Sache, spielt eine der Hauptrollen und strotzt vor Selbstbewusstsein. Aber vor der Premiere sieht das schon ganz anders aus.
Ohne dieses Theater "wäre ich tot"
Mohamad ist schon seit 15 Jahren beim Gefängnistheater. Der ehemalige Drogenabhängige, der mit seiner Familie vor dem Bürgerkrieg im Libanon geflohen ist und in Berlin als Jugendlicher schnell auf die schiefe Bahn geriet, ist sich sicher: "Wenn ich dieses Theater nicht kennengelernt hätte, wäre ich tot, hätte ich schon längst aufgegeben. Ich war kurz davor." Mohammad hat "aufBruch" viel zu verdanken. Besonders stolz ist er auf seine Fortschritte in der deutschen Sprache, die der 49-Jährige, der in Deutschland nie eine Schule besucht hat, erst bei "aufBruch" richtig kennen und lieben gelernt hat. Doch vor zwei Jahren folgt dann ein neuer Schicksalsschlag: Bei Mohamad wird ein Hirntumor diagnostiziert. Seitdem hat er oft Konzentrationsprobleme, vor allem beim Textlernen. "Ich brauche diese Herausforderung im Theater, das hilft mir."
Para steht seit seinem 13. Lebensjahr auf der Bühne. Er ist einer der wenigen professionellen Schauspieler bei "aufBruch" und hat in seinem Heimatland Kongo Schauspiel studiert. Als Asylbewerber kommt er Anfang der 1990er Jahre nach Berlin – und auf die schiefe Bahn. Wegen Betrugs sitzt er fünf Jahre hinter Gittern. Für "aufBruch" hat er während seiner Haft in der JVA Tegel das erste Mal auf der Bühne gestanden. "Theater ist eigentlich für mich das Leben, also wie Atmen. Ich opfere mich sogar und stehe um 4.30 Uhr auf." Dann geht er als Produktionshelfer im Maschinenbau arbeiten, um seinen Status in Deutschland zu sichern, denn Para hat auch nach mehr als 30 Jahren immer noch keine Niederlassungserlaubnis in Deutschland. Und die möchte er unbedingt, auch wegen seiner 18-jährigen Tochter Ravin. Sein Aufenthaltsstatus ist ihm so wichtig, dass der 51-jährige Schauspieler deshalb im Moment auf Engagements außerhalb von Berlin verzichtet.
Theaterspielen als Weg zu Resozialisierung
Herz und Kopf von "aufBruch" sind Produktionsleiterin Sibylle Arndt und Regisseur Peter Atanassow. Der Regisseur ist davon überzeugt, dass die Arbeit am Theater etwas Positives bei den Darstellern bewirkt: "Respekt zu bekommen, Anerkennung zu bekommen, Aufmerksamkeit zu bekommen, das ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Das macht Menschen selbstbewusst. Und ich glaube, wenn Menschen selbstbewusster sind, begehen sie auch weniger Dummheiten."
Wir begleiten Max, Sadam, Mohammad und Para während der Probenzeit und in ihrem Alltag, der sie jeden Tag aufs Neue herausfordert. Ein Film über Menschen zwischen Lampenfieber und Strafvollzug, großen Träumen und harten Rückschlägen, der Frage nach Schuld und dem steinigen Weg der Wiedereingliederung.