Reibepunkte mit nichtchristlichen Umfeld
Anne Jacobs (28) ist Christin und mit dem Glauben aufgewachsen. Doch sie fühlt sich damit allein auf dem Land in Sachsen-Anhalt. Sie hat oft das Gefühl, sich erklären zu müssen. Dabei lebt sie gern dort und hat sich nach dem Studium bewusst fürs Dorfleben entschieden.
Wenn Anne Jacobs in ihrem Heimatdorf zum monatlichen Gottesdienst geht und im Kirchenchor singt, dann ist sie mit Abstand die Jüngste und schaut auf fast leere Kirchenbänke. Die evangelische Religions- und Ethiklehrerin lebt mit ihrer Familie auf einem Bauernhof in Nordgermersleben. Mit circa 15 Prozent ist Sachsen-Anhalt das Bundesland mit dem geringsten Anteil an Christinnen und Christen. Im Freundeskreis, in der Schule, im Fußballverein und sogar bei der eigenen kirchlichen Hochzeit – in all diesen Situationen gibt es Reibepunkte mit dem eher nichtchristlichen Umfeld. "Viele denken, ich wäre weltfremd, altbacken – die Leute hier wissen viel zu wenig von Kirche und Glauben, und ich werde belächelt."
Nachwuchs an den Glauben heranführen
Aber die wenigen Christinnen und Christen sind oft diejenigen, die mehr Verantwortung und mehr Ehrenamt übernehmen. Neben ihren Verpflichtungen im eigenen Dorf engagiert sich Anne zusätzlich in ihrer alten Gemeinde Behnsdorf, eine halbe Stunde entfernt, um dort das Kinderkirchenmusical zu leiten und so den Nachwuchs wieder ein bisschen an den Glauben heranzuführen.
Daniel Richter (34) arbeitet dort, wo katholische Kirche und konfessionslose Jugendliche in Halle an der Saale aufeinandertreffen. Der Katholik organisiert die Feiern der Lebenswende, eine Alternative zur Jugendweihe. Mittlerweile feiern fast 700 Teenager aus Halle den Übergang zum Erwachsenwerden mit der Lebenswende in der Kirche. Eine Erfolgsgeschichte, die anfangs in Kirchenkreisen nicht unumstritten war. Daniel ist nicht wichtig, ob sich später jemand taufen lässt oder nicht, aber es ist für ihn der richtige Weg, sich in sein eher konfessionsloses Umfeld einzubringen.
Religiosität verliert ihre Bedeutung
Junge Christinnen und Christen unter den 80 Prozent Konfessionslosen in Ostdeutschland müssen sich oft erklären oder rechtfertigen, denn die meisten in ihrem Umfeld vermissen weder Gott noch Glauben und sehen die beiden christlichen Kirchen kritisch. Dass die Menschen im Osten Deutschlands weniger religiös sind, ist historisch bedingt. Wegen der religionskritischen Haltung der DDR-Regierung sind viele aus der Kirche ausgetreten, um Nachteile zu vermeiden, und jüngere Generationen sind oft ohne Bezug zum Glauben aufgewachsen. Diese geringe Religionsbindung besteht bis heute und führt zu einem gewissen Abwärtstrend. Da, wo weniger Christinnen und Christen leben, gibt es weniger religiöse Angebote – und wo es weniger Angebote gibt, verliert Religiosität ihre Bedeutung.
Im Kontext des Katholikentages angesiedelt, richtet "37°Leben" den Blick auf junge evangelische und katholische Christinnen und Christen auf dem Land und in der Stadt und zeigt, wie Gläubige in der Minderheit ihre christliche Ausrichtung leben und damit das Leben vor Ort mitgestalten und prägen.