Nicht alle Selfies sind nur ein stummer Schrei nach Aufmerksamkeit, einige sind Ausdruck einer psychischen Krankheit, ein erster Versuch, sich wieder mit dem eigenen Ich anzufreunden. Andere sind Zeugnisse gesellschaftlicher Missstände. Im Jahr 2012 zählt das Time Magazine den Begriff "Selfie" zu den Top-10-Schlagwörtern des Jahres, da er zu einem gebräuchlichen Begriff für die Beschreibung eines Selbstporträts geworden ist. Wie werden Selfies durch Promis, Influencer*innen oder Künstler*innen verwendet? Und was bedeutet das Selfie für junge Menschen und die Interaktion auf den Sozialen Medien?
Die künstlerische Entwicklung des Duckfaces
Die Kulturdokumentation geht weit zurück in die Kunstgeschichte, zu den Ursprüngen des Selfies: Albrecht Dürers "Selbstbildnis im Pelzrock" war im Jahr 1500 eine Revolution. So hat sich noch nie ein Künstler zu präsentieren gewagt: geradeheraus, ernsthaften Blicks, mit sorgsam gelockten Haaren und fein gezwirbeltem Schnurrbart. Etliche Künstler*innen ließen sich nachfolgend von Dürer inspirieren – 1839 mit einer Fotografie von Robert Cornelius, dessen Selfie als erstes Selbstbildnis der Fotografie anerkannt ist. Durch den technischen Fortschritt wird die Produktion und Verbreitung des eigenen Ichs rasant beschleunigt: das Selbstbildnis gehört inzwischen fest in den Kanon künstlerischer Produktion in großen Ausstellungshäusern.
Auch Nicht-Künstler*innen sind heute Expert*innen für die eigene Selbstdarstellung geworden: ihre Pinsel und Leinwand sind Handykamera, Filter und Apps. Einige bilden sich damit nicht mehr "nur” selbst ab, sondern entwerfen ein neues Bild von sich mit diesen Utensilien – und erhöhen sich damit zum "Übermensch". Sie sind auf den Bildern so „perfekt“ wie es der Natur kaum möglich ist. Erliegen wir heute als Gesellschaft der gleichen Selbst-Überhöhung wie damals schon Dürer, bloß 500 Jahre später?
Massenphänomen: Selbstdarstellung
Die Kulturdokumentation "Die Selfie-Story" fragt nach der kulturellen und gesellschaftlichen Bedeutung des Selfies und taucht dabei in zahlreiche Dimensionen ein: vom historischen Gemälde zur zeitgenössischen Fotokunst, von der Alltagsfreude zur psychischen Entfremdung, vom Massenphänomen zum Individuum. Welches Bedürfnis steckt in dem Akt sich selbst darzustellen?
Ein Film von Lars Hering