Erdüberlastungstag 2024: Zeichen für schlechten Klimaschutz?

    Kritik an Berechnung:Wie glaubwürdig ist der Erdüberlastungstag?

    von Michael Wiedemann
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    Wenn weltweit alle wie wir leben würden, bräuchte die Menschheit mittlerweile drei Erden. Das behauptet das "Global Footprint Network". Doch an deren Rechnung gibt es auch Kritik.

    Braunkohlekraftwerk Jänschwalde
    Ab heute verbrauchen die Menschen in Deutschland mehr natürliche Ressourcen, als im ganzen Jahr wieder erneuert werden können. Das ist der sogenannte Erdüberlastungstag.
    Quelle: dpa

    Alle Jahre wieder. Erdüberlastungstag. Der Tag, an dem die nachwachsenden, natürlichen Ressourcen verbraucht sein sollen, die in einem Jahr wieder erneuert werden können. Für Deutschland ist der Tag schon an diesem Donnerstag erreicht. Das ist gut drei Monate früher als der globale Erdüberlastungstag, der dieses Jahr wohl Anfang August erreicht werden wird.
    Folgt man den Berechnungen des "Global Footprint Network", die seit vielen Jahren nationale, wie auch den globalen "Erdüberlastungstag" verkünden, braucht die gesamte Menschheit 1,7 Erden, um ihren Ressourcenbedarf nachhaltig decken zu können. Lebten die Menschen alle so wie in Deutschland, gar drei solcher Planeten.
    Wenn alle Menschen so leben würden wie in Deutschland, wären schon am 2. Mai die natürlichen Ressourcen aufgebraucht, die unsere Erde in einem Jahr überhaupt bereitstellen kann.
    Dass die Menschheit also mehr Erden "verbraucht", als überhaupt da sind, erscheint paradox. Besonders, weil dieser "Überverbrauch" laut "Global Footprint Network" ja schon seit Jahren stattfindet, eine lebendige Erde aber immer noch besteht.
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    Berechnung des Erdüberlastungstags umstritten

    Die Ursache der Paradoxie liegt in der vereinfachten Berechnung des Networks, den "ökologische Fußabdruck" eines Landes (oder der Erde insgesamt) mit deren jeweiligen sogenannten "Biokapazität" zu vergleichen. Was aber versteht das "Global Footprint Network" unter den Begriffen "ökologischer Fußabdruck" und "Biokapazität"?
    Einfach erklärt, ist der "ökologische Fußabdruck" alles das, was eine Gesellschaft für ihren Lebensstil braucht an Ressourcen und dem damit verbundenen CO2-Ausstoß. Dieser wird vereinfachend in einen Flächenbedarf umgerechnet. Die "Biokapazität" beschreibt dagegen die Fähigkeit, diese Ressourcen wieder aufzubauen und CO2 aufzunehmen, und wird auch in - für diesen Zweck benötigte - Fläche ausgedrückt.
    Werden nun "ökologischer Fußabdruck" und "Biokapazität" miteinander verrechnet, ergibt sich besonders bei vielen Industrieländern (auch Deutschland) eine Differenz: Es gibt viel zu wenig "Biokapazität", um den "ökologischen Fußabdruck" auszugleichen. Gemessen an einem Jahr, entsteht diese Differenz in Deutschland beispielsweise schon nach 122 Tagen. So kommt das Network rechnerisch in diesem Jahr zu einem "Erdüberlastungstag" für Deutschland am 2. Mai.
    Eine Rechnung, die nach Meinung von Kritikern, aber doch zu einfach ist, weil ganz verschiedene Dinge zusammengefasst werden:

    Beispielsweise wird Landnutzung durch Infrastrukturen mit den Treibhausgasemissionen addiert. Die Umrechnung der Emissionen in Flächen geht am Problem vorbei. Wir haben ja nicht zu viel Flächennutzung, sondern zu viele Emissionen.

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    Emissionen fälschlicherweise Treiber für "Erdüberlastungstag"

    Für den Wirtschaftswissenschaftler der auch an der Universität Düsseldorf lehrt, ist klar: Emissionen spielen bei der Berechnung grundsätzlich eine zu große Rolle und erhöhen massiv den von Global Footprint Network errechneten Flächenbedarf. Weil das Network diese Emissionen rechnerisch mit massenhaft benötigten Waldflächen kompensiert. Eine Maßnahme, die kaum der gängigen Praxis entspricht:

    Mit der Umrechnung von Emissionen in Waldflächen ergibt sich schlicht folgende Aussage: Die Fläche der Erde reicht nicht aus, um die Emissionen durch Aufforstung zu kompensieren. Das ist nicht überraschend. Niemand glaubt, dass Aufforstung allein das Problem löst.

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    Für die Frage, wie stark der Globus tatsächlich durch menschliche Tätigkeit belastet ist, wäre aus Sicht des Geschäftsführers des Wirtschaftsforschungsinstituts eine andere Form der Berechnung notwendig:

    Hilfreicher wäre ein Indikator, der deutlich macht, wie weit wir immer noch über den langfristig verträglichen Emissionsbudgets liegen. Damit würde der globale Handlungsbedarf klar kommuniziert.

    Prof. Hubertus Bardt - Institut der deutschen Wirtschaft

    Würde man die Emissionen tatsächlich aus der Flächenberechnung herausnehmen und sie eigenständig behandeln, ergäbe sich laut einer Berechnung von spectrum.de, dass die Menschheit nur rund 70% ihrer "Biokapazität" nutzen würde. Es also weltweit gar keinen "Überlastungstag" gäbe.
    Und wohl auch nicht für Deutschland.

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